Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

Bas Densche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19.) 13 
tionäre und liberale, ultramontane und nationale Forderungen. Nur eine 
politische Richtung ist nicht vertreten, die sozialdemokratische. Um so auf- 
fälliger ist es, daß das Zentrum bei den Wahlen der religions= und staats- 
feindlichen Partei, der Sozialdemokratie Vorschub leistet. Wie patriotische 
Katholiken darüber denken, beweist der Düsseldorfer Aufruf. Die deutsche 
Politik darf nicht zum Spielball der Interessen einer Fraktion gemacht 
werden, die von ihrem religiösen und konfessionellen Standpunkt aus die 
Sozialdemokratie auf das schärfste bekämpfen müßte, ihr aber gleichwohl 
aus taktischen Gründen zu Einfluß in Lebensfragen der Nation verhilft. 
Die sozialdemokratische Partei hat positiv nichts geleistet. Selbst die großen 
sozialpolitischen Reichsgesetze sind ohne ihre Zustimmung zustandegekommen. 
Wo sich in ihren Reihen Neigung zur Mitarbeit an positiven Reformen 
zeigt, sucht sie der Despotismus, der revolutionäre Uebermut der Führer 
zu ersticken. Wie lange wird diese Knechtschaft von Millionen deutscher 
Arbeiter noch dauern? Es wäre ein großes Glück, wenn endlich dieser 
Bann sich lockerte, wenn die deutschen Arbeiter mehr und mehr einsähen, 
daß die Sozialdemokratie die Interessen der Arbeit schlecht vertritt, weil 
sie selbst keine positive Arbeit leistet (Lebhafte Zustimmung), wenn nament- 
lich die große Zahl der Mitläufer sich klar machte, daß der gegenwärtige 
Zustand der Ordnung und des Gesetzes, verfassungsmäßiger Freiheit und 
wachsenden Wohlstandes, der Fürsorge für die Armen und Bedrängten 
jedenfalls besser ist als der rohe Zwang, ohne den die Verwirklichung und 
der Bestand kommunistischer Zukunftsutopien überhaupt nicht denkbar wäre. 
(Bravol) Die Bestrebungen für Volkswohlfahrt erachte ich als staatliche 
Pflicht. Die sozialen Reformen werden hoffentlich trotz der nichts als 
gerbehuns schaffenden Gegnerschaft der sozialdemokratischen Partei nicht 
stillstehen 
Meine Herren, Sie werden nicht ohne Anreiz zum Nachdenken be- 
obachtet haben, welche Hoffnungen der Deutschland übel gesinnte Teil der 
ausländischen Presse aus der deutschen Wahlbewegung schöpft. (Hört! Hört.!) 
Der Deutsche Kaiser, die verbündeten Regierungen, sollen in diesen Wahlen 
einen Denkzettel erhalten. (Hört!) Alle guten Wünsche begleiten die Sozial- 
demokratie und das Zentrum in die Wahlkampagne. Es ist, als ob man 
einen Rückfall des Volkes der Dichter und Denker in die früheren Zeiten 
politischer Zerrissenheit und Ohnmacht für möglich hielte. Jedenfalls herrscht 
die Ueberzeugung, daß jeder Sieg der Opposition vom 13. Dezember die 
Entfaltung der nationalen Kräfte des deutschen Volkes, deutschen Unter- 
nehmungssinn und deutschen Geist hemmen und hindern werde. Solche 
Stimmen dringen aus Ländern und Völkern zu uns herüber, die selbst 
bewunderungswürdige Beispiele von stoischem Gleichmut und heroischem 
Opfermut im Durchhalten großer Kolonialkriege gegeben haben. (Sehr 
wahrl) Es ist auch klar, daß in der Tat die im Auslande erhoffte Ent- 
scheidung der deutschen Wähler zugunsten der internationalen Sozial- 
demokratie und des Fraktionsegoismus des Zentrums eine Schädigung des 
Ansehens und eine Gefährdung des Friedens des deutschen Volkes bedeuten 
würde. Und nun, meine Herren will ich Ihnen auch sagen, warum es mir 
eine besondere Freude war, Ihrer Einladung zu folgen. Gerade Sie, Ver- 
treter von Wissenschaft und Kunst, Denker und Forscher, Dichter und Bild- 
ner, sind am besten berufen, im Dienste der politischen Forderung des 
Tages dem alten deutschen Schicksal des Parteigeistes und Fraktionshaders 
entgegenzuwirken und den Glauben zerstören zu helfen, daß wir wieder 
bloß ein Volk von Denkern und Dichtern und Träumern werden und nicht 
auch eine große, friedlich strebende und in schweren Zeiten einige und tapfere 
Nation bleiben könnten. (Lebhafter Beifall.) Mögen so, wie Sie hier,
	        
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