Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

286 Ränische Karie. (Januar 11.) 
VIII. 
Römische Kurie. 
11. Januar. Der Papst veröffentlicht im „Osservatore Ro- 
mano“ eine vom 6. Januar datierte Enzyklika an die französischen 
Katholiken. Die „Köln. Volkszeitung“ berichtet darüber: 
Die Enzyklika verfolgt den Zweck, die französischen Katholiken zu 
stärken und zu trösten. Die Leiden, die sie erdulden, und die einen 
Schmerzensschrei in der ganzen katholischen Kirche erwecken, empfindet der 
Papst unendlich tief. Gott hat sie ihm allerdings durch einen großen Trost 
versüßt, und zwar durch die gewaltige, tiefgehende Einigkeit der französischen 
Katholiken. Der Papst, der an dieser Einigkeit nie gezweifelt hat, sagt 
Gott für dieselbe Dank. Nicht nur, so führt die Enzyklika aus, ist dem 
christlichen Glauben der Krieg angesagt, sondern jeglichen übernatürlichen 
Gedanken. Die französischen Katholiken müssen gegen alle von Gott ge- 
sandten Prüfungen gewappnet sein und auf den endgültigen Sieg hoffen. 
Dazu gehört aber die bleibende Einigkeit untereinander und die Einigkeit 
mit dem Heiligen Stuhl. Nichts beweist mehr die Wichtigkeit dieser Einigkeit 
als die fortgesetzten Anstrengungen der Kirchenfeinde, sie zu zerstören. 
Die Kirche, so heißt es von kirchenfeindlicher Seite, will den Religionskrieg 
und die heftige Verfolgung. Die Antwort darauf lautet: Die Kirche als 
Friedensträgerin bleibt treu ihrer Mission, und alle wissen, daß sie den 
Krieg in Frankreich, der gegenwärtig gegen sie tobt, nicht provozierte, auch 
will sie keine Verfolgung, weil die Kirche als liebende Mutter nicht die 
Leiden ihrer Söhne will. Betreffs der Anschuldigung gegen den Papst, 
er habe die Kirchengüter aufgegeben, erinnert die Enzyklika daran, daß 
der Staat, indem er der Kirche eine Organisation aufzudrängen suchte, 
welche sie unmöglich annehmen konnte ohne Verletzung ihrer eigenen gött- 
lichen Institution, die Kirche in die Zwangslage brachte, die ungerechte 
Beraubung nicht verhindern zu können. Der Papst hat die in Widerspruch 
mit der Hierarchie organisierten Kultusvereine verurteilen müssen, ungeachtet 
des materiellen Schadens, der durch diese Entscheidung entstanden ist. 
Falsch ist die Behauptung, der Papst habe in Frankreich verurteilt, was 
er in Deutschland gebilligt habe. Die Lage war ganz verschieden. Die 
deutschen Kultusvereine, die übrigens nur einfach von der Kirche geduldet 
werden, erkennen die katholische Hierarchie an, was das französische Gesetz 
nicht tut. Betreffs der Jahreserklärung für den Kultus, obwohl eine solche 
keine rechtliche Sicherheit bietet und den formellsten Vorbehalt erfordert, 
würde der Heilige Stuhl vielleicht zugestimmt haben, wenn das ministerielle 
Rundschreiben den Pfarrern in ihren Kirchen nicht eine Lage geschaffen 
hätte, die in keiner Weise geduldet werden konnte. Was das neue Gesetz 
vom 2. Januar angeht, so ist es bezüglich der Kirchengüter ein vollständiges 
Wegnahmegesetz, betreffs der Kultusvereinigung ist es ein Anarchiegesetz, 
das überall Unsicherheit und Eigenmächtigkeit erzeugt. Es verschlimmert 
noch das erste Gesetz und der Papst mußte es zurückweisen. Die Enzyklika 
konstatiert hinsichtlich der Bemühungen der Kirchenfeinde, auf den Heiligen 
Stuhl die Verantwortung für die jetzige Lage abzuwälzen, daß diese Be- 
mühungen sich erklärten aus dem Bewußtsein, ein Werk vollbracht zu 
haben, das nicht dem allgemeinen Empfinden des Landes entsprach. Im
	        
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