Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Des Denisqhe Reit und seine einelnen Slieder. (März 29.) 115 
allgemeine Zustimmung nicht aufkommen konnte. (Sehr gut! rechts.) Bei 
uns hat man von einer Inkonsequenz unserer Marokkopolitik gesprochen. 
Ich könnte Ihnen in einer historischen Betrachtung nachweisen, daß, wenn 
unsere Methode nicht immer die gleiche war, doch unser sachlicher Stand- 
punkt immer derselbe geblieben ist. Zeit und Umstände sind eben immer 
im Fluß und Wechsel. Es scheint mir in der Politik überhaupt weniger 
anzukommen auf die starre Konsequenz als auf das praktisch Nützliche. 
(Bewegung.) In dem bisherigen Falle liegt dem Vorwurf der Inkonse- 
duenz im übrigen, wie ich glaube, eine irrige Auffassung über unsere 
Aufgaben in Marokko zugrunde. Sollten wir wirklich darauf ausgehen, 
in einem Lande, wo wir keine politischen Interessen haben und solche 
Interessen niemals verfolgt haben, Frankreich, das dort natürliche und 
sehr beträchtliche Interessen hat, Schwierigkeiten zu bereiten? Es gibt ja 
eine Meinung, wonach es gut sein soll, einem Lande, das einmal unser 
scharfer Gegner war, überall, und namentlich in einem der Punkte, wie 
Marokko einer für Frankreich ist, offen oder versteckt entgegen zu arbeiten, 
bloß weil der Zeitpunkt kommen könne, wo wir gezwungen sein möchten, 
mit diesem Lande die Klingen zu kreuzen. Ich mochte diese Theorie die 
Theorie der krummen Politik nennen. Ich habe hier schon einmal davon 
gesprochen, daß wir nicht vom Schaden anderer leben können. Das Be- 
wußtsein der Kulturgemeinschaft unter den großen zivilisierten VBölkern 
hat sich im Laufe der vergangenen Jahrhunderte zu sehr gestärkt, als daß 
eine Politik der Schadenfreude nicht überall Schaden anrichten sollte, ohne 
dem eignen Lande zu dienen. (Sehr richtig!) Für ganz verfehlt halte ich 
die Berufung auf den Fürsten Bismarck. Wir wissen alle, daß Fürst 
Bismarck es als nützlich betrachtete, wenn Frankreich seine Kraft in 
kolonialen Unternehmungen betätigte. Nun, seinerzeit gab es für Frank- 
reich eine offene, eine schmerzhafte Wunde, das war Tongking. Wenn 
sich die Archive einmal öffnen werden, dann wird sich erst zeigen, wie 
der große Staatsmann alles tat, was in seinen Kräften stand, um die 
chinesische Regierung von Feindseligkeiten gegen Frankreich anläßlich von 
Tongking abzuhalten. Das war das Gegenteil einer Politik der Schaden- 
freude. Das deutsche Volk ist stark und groß genug, um eine offene, eine 
klare, eine gerade Politik zu treiben, und der Ausdruck einer solchen Politik 
ist auch das Abkommen, das ich mit der französischen Regierung über 
Marokko getroffen habe. 
Ich nähere mich nun dem Orient. Es ist ein Gerede aufgebracht 
worden, als wäre ich anfänglich unsicher gewesen wegen der Haltung, die 
wir einzunehmen hätten gegenüber der Annexion von Bosnien und 
der Herzegowina. Es ist sogar versucht worden, mich bei unserm 
österreichisch-ungarischen Bundesgenossen als schwankend, bedenklich und 
vertrauensunwürdig zu denunzieren. (Hört, hört!) Da es sich hier um 
eine Legende handelt, die unsere intimsten Bundesbeziehungen berührt, so 
glaube ich, daß diese Legende gar nicht kräftig genug zerstört werden kann. 
(Beifall.) Ich werde Ihnen deshalb einige Mitteilungen aus den Akten 
machen, aus denen Sie ersehen werden, daß ich von Anfang an meine 
Stellung zu dem Vorgehen der österreichisch-ungarischen Monarchie mit 
aller Entschiedenheit genommen und präzisiert habe. Die österreichisch- 
ungarische Zirkularnote wegen der Annexion und der damit zusammen- 
hängenden Fragen ist uns am 7. Oktober v. J. übergeben worden. Am 
Tage vorher war auf meine Weisung der kaiserliche Botschafter in Wien 
dahin instruiert worden, ich legte besonderen Wert darauf, daß man hin- 
sichtlich der Annexionsfrage volle Sicherheit über unsere zuverlässige Haltung 
habe. Es sei das für uns ein Erfordernis selbstverständlicher Loyalität, 
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