Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

D# Netsche Reich und seine einjelnen Glieder. (März 29.) 117 
Ungarn hätte weichen müssen. (Sehr richtig!l) Gewiß, meine Herren, 
Deutschland ist stark genug, um sich im Notfalle auch allein zu behaupten. 
(Beifall.) Das ist aber kein Grund, einen loyalen Genossen, der überdies 
ein treuer, wertvoller Faktor in der europäischen Politik ist, in einer für 
ihn schwierigen Lage sich selbst zu überlassen oder auf andre Freundschaften 
anzuweisen. (Sehr richtig! und Beifall.) 
Die Polink des Finessierens (durch List etwas zu erreichen suchen) 
ist durchaus nicht immer eine kluge Politik. Sie ist jedenfalls nicht an- 
gebracht einem Freunde gegenüber, der Klarheit und Offenheit erwartet. 
Uns klar und offen an die Seite von Oesterreich-Ungarn zu stellen, war 
aber deshalb angezeigt, weil wir sonst gefährliche Zumutungen ermungt 
hätten, die darauf hinausliefen, der Machtstellung von Oesterreich-Ungarn 
Schaden zuzufügen. Eine diplomatische Niederlage unseres Bundesgenossen 
hätte ihre Rückwirkung auf unsere eigene internationale Stellung ausgeübt. 
(Sehr richtig!) Sie hätte das Schwergewicht vermindert, das Deutschland 
und Oesterreich-Ungarn jetzt gemeinsam repräsentieren und das in inter- 
nationalen Fragen oft von beiden Mächten gemeinsam in die Wagschale 
geworfen ist. Ich habe ein höhnisches Wort gelesen über unsere Vasallen- 
schaft gegenüber Oesterreich-Ungarn. Das Wort ist einfältig. (Lebhafte 
ustimmung.) Es gibt keinen Streit über den Vortritt wie zwischen den 
öniginnen im Nibelungenliede, aber die Nibelungentreue wollen wir aus 
unserem Verhältnis zu Oesterreich= Ungarn nicht ausschalten. (Lebhafter 
Beifall.) Die wollen wir vor aller Oeffentlichkeit Oesterreich-Ungarn gegen- 
über wahren. (Lebhafter Beifall.) Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, 
will ich hier gleich einfügen, daß ich in dieser unserer Haltung auch eine 
eminente Friedenssicherung erblicke. (Lebhafter Beifall.) Die Publizierung 
des österreich-ungarisch-deutschen Bündnisses hat seinerzeit auf kriegslustige 
Elemente in Europa beruhigend eingewirkt. Die Konstatierung, daß das 
Bündnis inzwischen nichts von seiner Kraft eingebüßt hat, kann in gleicher 
Richtung nur nützlich wirken. (Sehr richtig!) Den Kritikern aber hier in 
der Presse und sonstwo, die uns mit dem Buchstaben des Vertrages unter 
die Nase fahren, denen sage ich einfach, daß hier der Buchstabe tötet. 
(Sehr richtig!l) Nun weiß ich wohl, daß wir Deutsche der Ueberzeugung 
bedürfen, an der Seite einer gerechten Sache zu stehen. Wir haben dieser 
Ueberzeugung oft genug Opfer gebracht, es liegt auch im deutschen Volks- 
charakter, eine Sache gern deshalb für die gerechte Sache zu halten, weil 
sie die schwächere ist. Deshalb aber brauchen wir keine Skrupel zu haben, 
und sie sind meines Wissens auch niemals hervorgetreten. 
Es unterliegt für mich nicht dem mindesten Zweifel, daß Oesterreich- 
Ungarn in seinem Konflikt mit Serbien das Recht durchaus auf seiner 
Seite hat. (Lebhafter Beifall.) Die Annektion der beiden Provinzen war 
kein zynischer Landesraub, sondern der letzte Schritt auf der Bahn einer 
seit 30 Jahren betätigten kulturellen und wirtschaftlichen Politik. (Sehr 
richtigl) Der Zustand von heute datiert bereits seit 1877 oder 1878. Die 
Besetzung von Bosnien und der Herzegowina erfolgte seinerzeit, weil der 
ursprüngliche Besitzer in den jeweiligen Provinzen den Aufruhr nicht zu 
dämpfen vermochte, während Oesterreich-Ungarn einen Aufstand in weiten 
Landstrecken an seiner Grenze auf die Dauer unmöglich ruhig mit ansehen 
konnte. (Sehr richtig!) Was die österreich-ungarische Berwaltung in dieser 
Zeit für die beiden Provinzen getan hat, das ist von allen sachverständigen 
Beurteilern als eine glänzende Kulturleistung anerkannt worden. (Lebhafte 
Zustimmung.) Oesterreich-Ungarn hat sich ein Recht auf beide Provinzen 
durch seine Arbeit erworben. Der formale Verstoß, der bei der Annexion 
begangen wurde, ist durch die Verhandlungen mit der Pforte ausgeglichen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.