Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Denisqe Reiq und seine rinfelnen Glieder. (April 3.) 129 
ganzen wird der Landtag in Zukunft aus 38 Abgeordneten bestehen. Das 
Behlalter wird von 21 auf 25 hinaufgesetzt und die Amtsperiode der 
Abgeordneten von 3 auf 6 Jahre erhöht. 
3. April. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ übt an 
dem Ergebnis der Reichsfinanzkommission scharfe Kritik. 
Sie bemängelt, daß an 80 bis 90 Arbeitstagen nur 41 Sitzungen 
abgehalten wurden, verurteilt die alles hintertreibende Wühlarbeit der 
Interessenten, besonders des Deutschen Tabakvereins, und schließt diese 
Betrachtungen wie folgt: „Die Ergebnisse sind minimal! Das, was bis- 
her geleistet worden ist, ist weniger durch die Kommission geleistet, sondern 
durch die fortschreitende Erkenntnis in der Oeffentlichkeit, daß aufgebracht 
werden müssen 375 Millionen indirekte Abgaben, und zwar mindestens je 
100 Millionen durch Belastung von Bier und Branntwein und 75 Mil- 
lionen vom Tabak, ferner 100 Millionen durch direkte Besitzbesteuerung, 
25 Millionen durch Erhöhung der Matrikularbeiträge. Damit ist eine 
überaus schwierige Situation geschaffen. Wenn in der bisherigen Weise 
weitergearbeitet würde, würde die Kommission nicht nur bis Ende Juli, 
sondern bis in Winters Anfang zusammenbleiben müssen. Die verbün- 
deten Regierungen werden an dem vom Reichskanzler in seiner Rede vom 
31. März ausgesprochenen Verlangen, daß der Reichstag noch in dieser 
Session die Finanzreform erledigt, unter allen Umständen festhalten. 
Hierbei befinden sie sich in voller Uebereinstimmung mit den Wünschen 
des weitaus größten Teils des deutschen Volks. Dieses besteht nicht, wie 
man manchmal nach den überlauten Aeußerungen der Fachpresse in den 
letzten Monaten hätte annehmen können, ausschließlich aus Interessenten. 
Es leidet auch nicht an einer tiefgründigen Abneigung gegen die Erbschafts- 
besteuerung. Vielmehr haben die zahlreichen, starken und spontanen Kund- 
gebungen, wie sie überall in konservativen und liberalen Vereinen während 
der letzten Wochen in immer steigendem Umfange stattgefunden haben, 
gezeigt, daß das deutsche Volk in seiner ganz überwiegenden Mehrzahl 
von der Notwendigkeit durchdrungen ist, die Finanzreform noch in diesem 
Sommer ohne irgendwelche Rücksicht auf Parteigegensätze zu einem gedeih- 
lichen Abschluß zu führen. Es ist bereit, hierzu große Opfer zu bringen, 
und verlangt von seinen Abgeordneten ganze und ernste Arbeit. Es ist 
berechnet worden, daß jeder Tag Verzögerung das Volk 11⅛/ Millionen Mark 
dauernde Belastung kostet. Das Liegenbleiben der Reform über den 
Sommer hiinaus würde eine Verzögerung mindestens um ein volles 
Jahr bedeuten, dem deutschen Volke eine weitere Schuldenlast von min- 
destens 500 Millionen Mark und eine jährliche Zinsausgabe von über 
20 Millionen Mark aufbürden.“ 
Anfang April. Der Bund der Landwirte und die Nachlaß- 
steuer: 
Der engere Vorstand des Bundes der Landwirte veröffentlicht in 
der Wochenschrift des Bundes eine lange Erklärung, in der nochmals eine 
Rechtfertigung für die ablehnende Haltung des Bundes der Nachlaßbesteuerung 
gegenüber versucht wird: Der Kampf gegen die Nachlaßsteuer wird vom 
Bunde der Landwirte geführt in voller Uebereinstimmung seiner Mitglieder 
aus Gründen der Vaterlandsliebe, die es nicht zuläßt, daß der deutsche Mittel- 
stand in Stadt und Land in seiner wirtschaftlichen Existenz, in seiner Seß- 
haftigkeit und in dem inneren Zusammenhang der Familie schwer gefährdet 
werde. Die deutschen Landwirte wollen Opfer bringen, damit wir zu geord- 
neten Reichsfinanzen kommen, schwerere Opfer als andere Stände. Denn die 
Europäischer Geschichtskalender. L. 9 
 
	        
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