Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

N Netsche Reich und seine einzelnen Slieder. (April 27.) 151 
diese hohen Aufwendungen für die Beamten im Staatshaushaltsetat all- 
mählich zum Verschwinden zu bringen. Zu diesen Aufwendungen in Preußen 
kommen im Reiche Aufwendungen von abermals 100 Millionen, so daß 
allein ilhn Reiche und in Preußen etwa 250 Millionen dauernde Mehr- 
ausgaben für die Aufbesserungen der Beamtengehälter vorhanden sind. 
Und selbst damit ist das Maß der Leistungen gar nicht erschöpft, denn die 
Kommunen müssen dem Vorgehen des Reiches und des Staates folgen. 
Es kommen sehr bedeutende Lasten hinzu. Ich führe Ihnen das an, um 
zu beweisen, in welchem Maße die Gesamtheit unserer Bevölkerung dazu 
beitragen muß, um die Aufbesserung der Beamtengehälter zu bewirken, 
und wie sehr daher die Beamten Veranlassung haben, in ihren Forde- 
rungen nicht über das Maß des Berechtigten hinauszugehen. (Lebhafte 
Zustimmung.) 
Zu den Vorwürfen gegen die Staatsregierung kommen — das ist 
das Schwerwiegendste — Vorwürfe gegen das Abgeordnetenhaus und das 
Herrenhaus. Man hat davon gesprochen, daß im Abgeordnetenhaus ein 
Antibeamtenblock sich gebildet habe, dem alle Parteien mit Ausschluß der 
Sozialdemokratie angehört hätten. Wenn man monatelang jeden Tag an 
den Arbeiten der Budgetkommission teilgenommen hat, wenn man weiß, 
mit welcher Hingabe, mit welcher Sachlichkeit, welchem Wohlwollen alle 
Parteien des Abgeordnetenhauses an diesen Arbeiten teilgenommen haben, 
so ist das Abgeordnetenhaus gegen einen solchen Vorwurf mangelnden 
Interesses für die Beamten vollkommen gefeit, und daß dieser Vorwurf 
unberechtigt ist, ergibt sich auch daraus, daß das Abgeordnetenhaus die 
Vorschläge der Regierung um nicht weniger als 13 Millionen Mark im 
Interesse der Beamten überschritten hat. Die schwersten Vorwürse sind 
unter Nennung von Namen gegen zwei hochverdiente Mitglieder dieses 
Hauses gerichtet worden. Ich muß entschieden Protest gegen eine derartige 
Behandlung eines Teiles des Landtags durch einen Teil unserer Beamten 
einlegen. (Beifall.) Wenn die Beamten, die die Verführten in diesem Falle 
sind, glauben, auf diese Weise einen Druck auf die Regierung oder auf 
den Landtag üben zu können, so haben sie die Rechnung ohne die Wirte 
gemacht. (Stürmischer Beifall.) Weder Regierung noch Abgeordnetenhaus 
noch dieses hohe Haus werden irgendwie einem solchen Drucke zu weichen 
geneigt sein. (Stürmischer Beifall.) Aber diese Beamten haben sich vor 
allem versündigt gegen den guten Geist unseres Beamtentums (lebhafte 
Zustimmung) und haben den Schein aufkommen lassen, als ob der Geist, 
der dort in dieser Versammlung zum Teil zutage getreten ist, überhaupt 
unsere ganze Beamtenschaft erfüllt. Ich muß im Interesse des Gros der 
Beamtenschaft, die mit Stolz noch die alten Traditionen des Beamtentums 
pflegen, dagegen Einspruch erheben, daß der Ausdruck dieser Gesinnung 
etwa als der Ausdruck des Gros unserer Beamtenschaft betrachtet wird. 
Gottlob lebt noch in dem Gros unserer Beamtenschaft Pflichttreue und auch 
Verständnis für das richtige Verhältnis gegenüber ihren Vorgesetzten. 
Um so mehr haben wir allerdings die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß 
die Agitatoren diese wohlgesinnten Beamten nicht von Jahr zu Jahr in 
die Netze ihrer Agitation ziehen. Es sind daher, wie Sie in der „Nord- 
deutschen Allgemeinen Zeitung“ gelesen haben werden, die erforderlichen. 
Feststellungen veranlaßt worden. Danach wird sich richten, ob und welche 
Schritte gegen die hauptsächlich beteiligten Beamten zu ergreifen sind. 
(Beifall.) Wir wollen und werden nicht dulden, daß die Disziplin, daß 
der gute Geist unserer Beamtenschaft durch einen Teil verführter Beamten 
untergraben und damit eines der Hauptfundamente des preußischen Staats- 
wesens erschüttert wird. (Stürmischer langanhaltender Beifall.)
	        
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