Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

152 Hes Beutse Reiqh und seine einjelnen Slieder. (April 27.) 
27. April. (Reichstag.) Novelle zur Zivilprozeßordnung. 
Die Kommission beantragt folgende Bestimmung über Eid und 
Eidesformel in § 392: Die Beeidigung erfolgt nach der Vernehmung. 
Mehrere Zeugen können gleichzeitig beeidigt werden. Die Eidesnorm geht 
dahin, daß der Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt, nichts 
verschwiegen und nichts hinzugesetzt habe. 
Ein Antrag Kirsch (Zir.) fordert eine Einschränkung dahin, daß 
der Zeuge nur zu beeiden hat, daß er nach bestem Wissen die reine Wahr- 
heit gefagt und nichts verschwiegen habe. 
Der §# 410 handelt vom Sachverständigen-Eid, der in entsprechender 
Fassung abgegeben werden soll. Die Eidesformel regelt 3 481. Danach 
spricht der Richter die Eidesformel mit der Einleitungsformel vor: Sie 
schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden! Der Schwur- 
pflichtige spricht darauf: „Ich schwöre es, so wahr mir Gotit helfe.“ 
Der Antrag Kirsch wird nach kurzer Debatte angenommen, die an- 
dern Bestimmungen über die Norm des Eides werden nach den Kommissions- 
beschlüssen genehmigt. 
Bei Beratung des Artikel VIII des Regierungsentwurfs kommt die 
Frage der Versetzbarkeit der Richter zur Diskussion. Nach Arrikel VIII 
sollen die Landesjustizuerwaltungen die Möglichkeit haben, Richter inner- 
halb dreier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes unfreiwillig zu versetzen 
oder mit vollem Gehalte zu pensionieren. Diese Durchbrechung des Grund- 
satzes der richterlichen Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit wurde in der 
Kommission grundsätzlich bekämpft, aber dann mit Rücksicht auf bayerische 
Verhältnisse angenommen unter Beschränkung auf ein Jahr und auf die 
Versetzung innerhalb des Oberlandesgerichtsbezirks. Der bayerische Bundes- 
ratsbevollmächtigte entwickelte in der Kommission, Bayern werde veranlaßt 
werden, an einigen Landgerichten Stellen einzuziehen und sie an Amts- 
erichte zu übertragen; bei größeren Gerichten könne man die natürliche 
twickelung abwarten, bei kleineren ginge das oft nicht. Es sei in Bayern 
eine gewisse Stagnation in der Richterlaufbahn eingetreten, infolge deren 
die Justizverwaltung dieser Befugnis bedürfe. 
Von einer Reihe nichtbayerischer Abgeordneten verschiedener Parteien 
liegt jetzt der Antrag auf Streichung des Artikels VIII vor, wogegen das 
bayerische Zentrum einen Antrag Frhr. v. Freyberg einbringt, der den 
Kommissionsbeschluß aufrechterhalten will unter Beschränkung auf den 
Bezirk des Landgerichts. 
Bayerischer Bundesratsvertreter Treutlein-Moerdes bittet um 
Annahme wenigstens dieses Antrags. Die bayerische Justizverwaltung ver- 
meidet alles aufs ängstlichste, was irgendwie die richterliche Unabhängigkeit 
antasten könnte. 
Dr. Görck (nul.) hält trotzdem die Bedenken aufrecht. Ohne Nach- 
weis zwingender Notwendigkeit — und der sei nicht erbracht — solle man 
der Justizverwaltung nicht eine solche Befugnis geben. Es werde sich 
immer nur um Einziehung einzelner Richterstellen handeln, und da würde 
sich durch freie Vereinbarung leicht die erforderliche Regelung finden lassen, 
und schlimmstenfalls könne man bis zu einer ordnungsmäßigen Pensionierung 
die zur Einziehung, gelangte Richterstelle besolden. Mache man jetzt diese 
Konzession, dann werden die Justizverwaltungen hernach bei der Straf- 
gesetzuovelle erst recht kommen und die Beunruhigung, die sich jetzt schon 
der Richter bei den Land- und den Oberlandesgerichten bemächtigt hat, 
wird nur größer werden. 
de Witt (Ztr.) stimmt dem voll zu. Die grundsätzlichen Bedenken
	        
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