Das Venische Reich und seine eintelnen Slieder. (April 27.) 153
bestehen in unverminderter Schärfe fort. Es ist dies der erste Vorstoß
gegen den Grund-= und Eckpfeiler unserer Rechtspflege, die Unabsetzbarkeit
unserer Richter, und damit eine Erschütterung des Vertrauens unseres
Volkes zur Rechtspflege. Es ist dies der erste Versuch, das zu erlangen,
was die Regierung beim Erlaß der Reichsjustizgesete nicht hat erlangen
können. Bayern wird sich behelfen können; jedenfalls ist es besser, wenn
in Bayern ein Dutzend Richter eine Stunde spazieren gehen, als wenn
über ganz Deutschland das Damoklesschwert der Richterversetzung schwebt.
Wenn wir schon bei dieser unscheinbaren Novelle den Grundsatz preisgeben,
dann ist kein Halten mehr auf der schiefen Ebene. Das Grab für unsere
Rechtspflege würde gegraben sein. Aber gegen den Antrag v. Freyberg
habe ich nichts (Lachen), denn in diesem Falle würde nur die Verpflichtung
zur Uebernahme einer Amtsrichterstelle durch einen Landrichter aus-
gesprochen, was vollständig im Rahmen dieser Novelle liegt.
Dr. Wagner (kons.): Wenn man diese Rede hört, so sollte man
meinen, das Deutsche Reich werde in seinen Grundfesten erschüttert, wenn
der Kommissionsbeschluß angenommen wird! Sie haben doch recht mit
Kanonen nach Spatzen geschossen Es handelt sich einfach um eine Ueber-
gangsbestimmung. .
Gyßling(fkf.Bp.)etsuchtdenStaatösetretärumdieBestätigung
seiner Auffassung, daß gerade die Einbringung einer solchen spezialen Ueber-
angsbestimmung die Regierung im übrigen auf die Beachtung der Be-
Eimenung des Gerichtsverfassungsantrags festlege.
Staatssekretär Dr. Nieberding bestätigt das. Es sind lediglich
finanzielle Bedenken der bedrängten Staaten, die diese Bestimmung ver-
anlaßt haben.
Gröber (Ztr.) verweist gleichfalls gegenüber der „temperament-
vollenl Fede seines Fraktionsgenossen auf die praktischen Gründe für den
rtikel 8.
Nach längerer weiterer Erörterung wird der bayrische Antrag Frey-
berg angenommen. Der Rest der Novelle wird unverändert angenommen,
ebenso die beiden Resolutionen der Kommission über die Anwaltsgebühren.
Damit ist die zweite Lesung der Zivilprozeßnovelle erledigt.
27. April. (Reichsfinanzreform.) Zur Besprechung des
Antrages einer Reichswertzuwachssteuer hat der Vorsitzende
der konservativen Fraktion Freiherr v. Normann im Einverständnis
mit dem Reichsschatzsekretär Sydow die Vorsitzenden aller bürger-
lichen Fraktionen eingeladen. Auch der preußische Finanzminister
Freiherr v. Rheinbaben und der Reichsbankpräsident Havenstein
nehmen teil.
Ueber den Verlauf der Besprechung berichtet der „Berliner Lokal-
anzeiger": Die Versammelten wählten einstimmig den Reichsschatzsekretär
Sydow zum Vorsitzenden. In einleitenden Worten legte dieser den Stand-
punkt der Reichsregierung dar, die der Wertzuwachssteuer nicht unsympathisch
egenüberstehe: indessen sei der jetzige Zeitpunkt für die Schaffung einer
olchen Steuer nicht geeignet; da sie langwierige Borarbeiten bedürfe.
Zurzeit sei es notwendig, um der schwierigen finanziellen Lage Herr zu
werden, eine sofort erhebbare Steuer zu schaffen. Als solche sei die Erb-
anfall- bezw. Nachlaßsteuer am meisten geeignet. Zunächst entspann sich
hierauf eine Geschäftsordnungsdebatte darüber, ob eine Besprechung zur
Sache erforderlich sei. Die Liberalen sprachen sich dagegen aus; da in eten