Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Bas Dentsqe Reich und seine reimelnen Glieder. (April 28.) 155 
Schreibarbeit oder mechanischer Arbeit belastet würden, weshalb Jahres- 
berichte und dreijährige Verwaltungsberichte wohl überflüssig erschienen. 
Ein anderes Kommissionsmitglied betonte zunächst gleichfalls den erfreulichen 
Fortschritt, der durch die Reform gegeben sei, und stellte fest, daß in der 
Mehrzahl der Fälle bisher die Patronate die Form der Studienanstalt 
ewählt hätten, die den realgymnasialen oder Oberrealschulcharakter trüge. 
Erne Kritik der Lehrpläne sei verfrüht, da die Erfahrung zeigen müsse, 
inwieweit die Aenderungen angezeigt seien. Bei der Durchführung der 
Reform werde man besonders mit zwei Widerständen zu rechnen haben, 
einmal dem Mangel an Oberlehrern und zweitens mit den sehr beträcht- 
lichen Kosten, die die Reform besonders auch den Städten auferlegen 
würde. Für die Regelung der Lehrerinnenprüfung bedürfe es neuer Ueber- 
gangsbestimmungen. Schließlich sei darauf hinzuweisen, daß nach den 
Untersuchungen, die im Rheinland und Westfalen angestellt seien, ein auf- 
fallend großer Prozentsatz von Mädchen an Skoliose (Verkrümmung der 
Wirbelsäule) infolge des Sitzens auf den Schulbänken erkrankt sei. Da 
wäre zu fordern, daß der orthopädische Schulunterricht eifrig gepflegt werde. 
Auch die übrigen Mitglieder der Kommission sprachen ihre Genugtuung über 
die Art, wie die Reform allgemein geplant sei, aus. Ein Regierungs- 
vertreter erklärte, daß es schwierig gewesen sei, sich ein Bild davon zu 
machen, in welchem Umfange Staatszuschüsse gewährt werden müßten. 
Mit der eingestellten Summe hoffe man für das Jahr 1909 auszukommen. 
Die Mädchenschulen, welche die Reform nicht mitmachten, blieben was sie 
gewesen wären, und müßten nur ihren Namen ändern. Den Privat- 
schulen und überhaupt den kleinern Schulen komme die Regierung in 
weitestem Maße entgegen. Sie werde ihrerseits alles tun, um unbillige 
Härten zu vermeiden. Die Trennung des Ressorts bestehe schon jetzt, und 
wie sie bisher keine Schwierigkeiten bereitet habe, werde sie das auch in 
Jtunßt nicht tun. Die Zuschüsse würden im übrigen nach dem staatlichen 
nieresse und dem Bedürfnis der einzelnen Schulen oder Patronate ver- 
teilt werden. Die ganze Reform sei als ein Versuch anzusehen, der selbst- 
verständlich auf Grund der zu machenden Erfahrungen im einzelnen weiter 
entwickelt werden müsse. Ferner machte der Regierungsvertreter auf die 
neue Verfügung aufmerksam, nach der Lehrerinnen nach zweijähriger Lehr- 
tätigkeit die Hochschule besuchen und zum Examen pro facultate zugelassen 
werden können. Der Erscheinung der Skoliose wende die Regierung 
unausgesetzt besondere Aufmerksamkeit zu; man suche sie namentlich da- 
durch zu bekämpfen, daß der wissenschaftliche Unterricht auf ein Mindest- 
maß herabgesetzt werde. Auch die Regierung wünsche nicht zu viel 
Studienanstalten eingerichtet zu sehen. Auf die Frage der Aufnahme von 
Mädchen in bestehende höhere Knabenlehranstalten wolle er nicht eingehen. 
W. April. (Bayern.) Im Steuerausschuß der Kammer 
äußert sich der Finanzminister dahin, daß ihm eine Reichs-Wert- 
zuwachssteuer unannehmbar erscheine. Eine Besteuerung des Erb- 
anfalles an Deszendenten und Ehegatten erscheine ihm als die 
gangbarste Form einer Besteuerung des Befitzes; auf einem anderen 
Wege werde man nicht zu einer befriedigenden Lösung kommen. 
28. April. (Berlin.) Baron d'Estournelles de Constant, 
Mitglied des franzöfischen Senats, hält auf Einladung des Zentral- 
komitees für eine Annäherung zwischen Deutschland und Frank- 
reich im Kaisersaal des preußischen Herrenhauses einen Vortrag 
 
	        
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