Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

2 Deas Penisqe Reiq und seine eintelnen Glieder. (Januar 2.) 
Zündnadelgewehr herangegangen wäre. Der Fabrikarbeiter, der gewohnt 
ist, morgens den Arbeitsplatz, abends sein Heim auf dem Rade aufzusuchen, 
wird schwerlich, mit Waffe, Munition und Tornister beladen, täglich 30 
bis 40 Kilometer zurückzulegen vermögen. Landwehr und Landsturm, 
Territorialarmee und Reserve der Territorialarmee werden nur in sehr 
beschränktem und bedingtem Maße dem Volke in Waffen zugezählt werden 
können. Von dem, was übrig bleibt, muß noch viel als Besatzung von 
Festungen und als Ersatztruppen zurückgelassen werden. Wenn man die 
Verhältnisse von 1870 in Vergleich zieht, wo der Landsturm gar nicht, die 
Landwehr nur in sehr geringem Maße in Betracht kam, und doch von 
1200000 Mann Gesamtstärke nur 500000 das Feldheer bildeten, so wird 
man dieses gegenwärtig auf mehr, aber nicht allzuviel mehr als eine Mil- 
lion veranschlagen können. Immerhin ist ein solches Heer groß im Ver- 
hältnis zu den Heeren frühcrer Zeiten, und auch groß für denjenigen, der 
es führen und bewegen soll; klein dagegen, da ihm weder, wie 1866, die 
Ueberlegenheit der Waffe, noch, wie 1870, diejenige der Zahl über seinen 
Gegner gesichert ist, und nur genügend, wenn es möglich wird, diese Massen 
zusammenzuhalten, auf ein Ziel zusammenwirken zu lassen. Auch wenn 
dies gelingt, ist es noch nicht nötig, daß die gesamte Zahl auf einem 
Schlachtfelde, zwanzigmal größer als das von Königgrätz, vereinigt wird. 
Bestand doch schon die kleine Schlacht von Dresden aus zwei getrennten 
Teilen, wurden nicht am 16. Oktober bei Leipzig drei verschiedene Schlachten 
eschlagen, zerfiel nicht Le Mans in eine ganze Anzahl selbständiger Ge- 
Fchter Nicht auf die örtliche Berührung, sondern auf den inneren Zu- 
sammenhang, darauf kommt es an, daß auf dem einen Schlachtfeld für 
den Sieg auf dem anderen gefochten wird. Soviel ist indes gewiß, die 
Gesamtschlachten wie die Teilschlachten, die getrennten wie die zusammen- 
hängenden Kämpfe werden sich auf den Feldern und Räumen abspielen, 
welche die Schauplätze früherer kriegerischer Taten um ein gewaltiges über- 
steigen. So groß aber auch die Schlachtfelder sein mögen, so wenig werden 
sie dem Auge bieten. Nichts ist auf der weiten Oede zu sehen. Wenn 
der Donner der Geschütze nicht das Ohr betäubte, so würde nur schwaches 
Feuerblitzen die Anwesenheit von Artillerie verraten. Man wüßte nicht, 
woher das rollende Infanteriefeuer käme, wenn nicht ab und zu bald hier, 
bald dort eine dünne Linie für einen Augenblick einen Sprung nach vor- 
wärts machte, um ebenso rasch wieder zu verschwinden. Kein Reiter ist 
zu erblicken. Die Kavallerie muß ihre Aufgaben außerhalb des Schau- 
platzes der Tätigkeit der beiden anderen Waffen suchen. Kein Napoleon, 
umgeben von einem glänzenden Gefolge, hält auf einer Anhöhe. Auch 
mit dem besten Fernglas würde er nicht viel zu sehen bekommen. Sein 
Schimmel würde das leicht zu treffende Ziel unzähliger Batterien sein. 
Der Feldherr befindet sich weiter zurück in einem Hause mit geräumigen 
Schreibstuben, wo Draht= und Funkentelegraph, Fernsprech= und Signal- 
apparate zur Hand sind, Scharen von Kraftwagen und Motorrädern, für 
die weitesten Fahrten gerüstet, der Befehle harren. Dort, auf einem be- 
quemen Stuhle vor einem breiten Tische hat der moderne Alexander auf 
einer Karte das gesamte Schlachtfeld vor sich, von dort telephoniert er 
zündende Worte, und dort empfängt er die Meldungen der Armee= und 
Korpsführer, der Fesselballons und der lenkbaren Luftschiffe, welche die 
ganze Linie entlang die Bewegungen des Feindes beobachten, dessen Stel- 
lungen überwachen. Auch die Schlachten der Zukunft werden den auf 
großen Räumen zu verwendenden Massen entsprechend mehrere, ja viele, 
wenn auch nicht vierzehn Tage, wie bei Mukden, in Anspruch nehmen. 
Für jeden neuen Tag wird der Feldherr die bereits im Gefecht befind- 
 
	        
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