188 Das Dentsqhe Reiq unb seine einjelnen Glieder. (Mai 29.)
auch dem Reichsschatzamt einen Rückhalt gegen Anforderungen der Res-
sorts. Die Bindung solle ja auch nur auf- fünf Jahre festgesetzt werden;
das sei im Interesse der Einzelstaaten dringend notwendig.
Frhr. v. Gamp (Rp.): Meine Freunde sind für die Bindung ein-
getreten. In den Einzelstaaten sollte übrigens sparsamer gewirtschaftet
werden. Die Bahnhofsbauten sind beispielsweise viel zu luxuriös. Wir
sind am Ende unserer Leistungsfähigkeit, auch im Reich. Das sollten die
Einzelstaaten aber auch berücksichtigen. Das Reich hat eine Menge Lasten
übernommen, die früher den Einzelstaaten oblagen, beispielsweise die
Landesverteidigung. Wir müssen unsere Ausgaben einschränken. Museen
und andere Dinge sind alles schöne Sachen, wenn wir Geld in Hülle und
Fülle haben. Mit der Schuldentilgung wird es unter den gegenwärtigen
Berhältnissen nicht viel werden.
Frhr. v. Richthofen (kons.) verweist auf die Stellung seiner Partei
im Plenum und in der ersten Lesung in der Kommission.
Erzberger (Zir.) bestreitet die Richtigkeit der Schlußfolgerungen
des preußischen Finanzministers.
Der Zentrumsantrag wird angenommen, die Reichspartei und
die Wirtschaftl. Bereinigung stimmen dagegen. Die Rumpfkommission
vertagt sich darauf auf nachmittag mit der Tagesordnung: Besitzsteuern.
In der Nachmittagssitzung der Finanzkommission wurde zunächst
das am Vormittag in zweiter Lesung erledigte Finanzgesetz zur dritten
Lesung gestellt und gemäß den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen;
sodann standen die Besitzsteueranträge der Konservativen zur Verhandlung,
der Antrag Richthofen über die Potierungssteuer, die Umsatz= und
Wertzuwachssteuer auf Immobilien, zunächst die Kotierungssteuer. Die
Beratung darüber nahm folgenden Verlauf:
Schatzsekretär Sydow erklärt, dieser Antrag bedeute eine partielle
Vermögenssteuer, sie sei ungerecht, weil sie auch das mit Schulden be-
haftete Vermögen treffe, es handle sich um einen nicht geringen Zuschlag
zu den Landessteuern, die Bedenken würden durch einen Antrag, den
Müller-Fulda (Ztr.) eingebracht habe und wonach bei Wertpapieren, die
für ein Steuerjahr keine Zinsen oder Dividenden gezahlt hätten, der Stempel
für das unmittelbar folgende Steuerjahr nicht erhoben werden solle, nicht
beseitigt. Der Norddeutsche Lloyd würde neben seinem kolossalen Verlust
in dichem Jahre noch 330000 Mark Steuer zahlen müssen, das ausländische
Kapital würde von unsern Börsen verdrängt werden, es würde ein großer
Schaden für die deutsche Volkswirtschaft entstehen, die Pfandbriefinstitute
würden die Belastung von sich abschieben und die Bautätigkeit würde er-
schwert werden, in Frankreich habe sich die Kotierungssteuer schlecht bewährt,
mit dem Ausbau der Einkommensteuer soll sie in Frankreich ganz auf-
ehoben werden. Wenn wir die Börse störten, würden wir die Volkswirt-
chaft schwer schädigen, insbesondere die Geldbesorgung im Kriegsfalle
unterbinden. Der Schatzsekretär schloß seine Ausführungen mit der Er-
klärung: Ich bin der Ueberzeugung, daß die verbündeten Regierungen dem
Vorschlag nicht zustimmen können. Ein Vertreter des preußischen Handels-
ministeriums fügte diesen Erklärungen hinzu, alle Schäden, die der Börse
durch das Gesetz von 1896 zugefügt worden seien, wären nur ein Kinder-
spiel gegen das, was wir der Börse zufügen würden, wenn dieser Antrag
Gesetz würde.
Graf Westarp (kons.): Für die Ausdehnung der Erbschaftsstener
wird im Reichstag keine Mehrheit zu erzielen sein, für die Heranziehung
des beweglichen Kapitals ist dagegen eine große Mehrheit vorhanden, ohne
diese Heranziehung ist die Durchführung der Finanzreform nicht denkbar;