Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Ventsche Reich und seine eintelnen Glieder. (Juni 5.) 193 
dann werde sie auch auf die Parteien Einfluß gewinnen, die sie heute so 
heftig befehden. 
5. Juni. (Kiel.) 9. Hauptversammlung des Deutschen 
Flottenvereins. 
Präsident Großadmiral v. Koester hält eine Ansprache, in der es 
heißt: „Ich stelle fest, daß alle Verbände des Deutschen Reiches hier ver- 
treten sind in voller Einigkeit. (Stürmischer Beifall.) Es ist von gewisser 
Seite darüber gesprochen worden, daß wir Phantasten und Hitzköpfe seien, 
die mit dem Kopf die Wand einrennen wollen. Es ist aber eine Ver- 
sammlung von erfahrenen Männern, Männern, die in der Arbeit ergraut 
sind (stürmischer Beifall), von Männern, die einer friedlichen Arbeit nach- 
gehen, Männern, die keinen andern Wunsch haben, als ihren Lebensabend 
in Frieden zu beschließen (stürmischer Beifall), Männern, die in der freien 
Entwickelung des Vaterlandes Heil sehen (erneuter stürmischer Beifall); 
von Männern, die wissen, was dem Vaterlande not tut. Diese Männer 
wissen, was der Zukunft des Vaterlandes, der Entwickelung seines Handels 
und Verkehrs not tut; sie wissen, daß Handel und Wandel nur gedeihen 
kann, wenn ihm der nötige Schutz durch eine starke Flotte zuteil wird. 
Sie wissen, daß dieser Schutz nur vorhanden sein kann, wenn wir ge- 
nügende Seegeltung haben. (Wiederholter stürmischer Beifall.) Die Teil- 
nehmer sind mit großen Erwartungen hergekommen, die Erwartungen sind 
aber übertroffen durch die großen Eindrücke, die sich uns gestern einprägten. 
Von unsern Kriegsschiffen versteht der überwiegende Teil der Herren ja 
nicht viel, sie sind aber mit Interesse gefolgt und haben das eine Gefühl 
gehabt: Hier ist eine Flotte, die auf einer gesunden Basis aufgebaut ist, 
eine Flotte, an der dauernd gearbeitet wird.“ (Stürmischer Beifall.) 
Prinz Heinrich sagt unter anderem: „Die barometrische Depression 
über dem Flottenverein, hoffe ich, ist für allemal verschwunden. (Stürmischer 
Beifall.) Ich hoffe, daß wie ein Gewitter reinigend wirkt, auch dieses 
Gewitter auf die Gemüter der Herren Mitglieder gewirkt haben wird. 
An dieser Stelle aber halte ich es für meine Pflicht, des frühern Präsidiums, 
insbesondere des Präsidenten, des Fürsten von Salm-Horstmar zu gedenken. 
(Lebhafter Beifall.) Für den jetzt zustande gekommenen Frieden möchte 
ich Ihnen Dank aussprechen und für die Wahl des jetzigen Präsidenten, 
des Großadmirals v. Koester (stürmischer Beifall), und ich möchte Seiner 
Exzellenz meinen Dank aussprechen für die ihm bereits mit Erfolg ge- 
krönte Mühe und Arbeit. Die Herren werden von mir gewiß hören 
wollen, wie ich über die Zukunft des Flottenvereins denke. Meine Auf- 
gabe kann es nicht sein, einen absolut unabhängigen selbständigen Verein 
beeinflussen zu wollen. Das ist die Aufgabe Ihres Herrn Präsidenten. 
(Stürmischer Beifall.) Aber dahin möchte ich, wenn ich mir gestatten 
darf, Ihnen einen Rat zu erteilen, aussprechen, daß der Verein seine 
Tätigkeit entwickeln möge auf dem Gebiete des Flottengesetzes, eines Ge- 
setzes, welches, glaube ich, in unserm Volke noch nicht ganz richtig ver- 
standen ist. Ein Festhalten an diesem Gesetz würde mir richtig erscheinen 
als Grundlage der Tätigkeit Ihres Vereins. Es unterliegt keinem Zweifel, 
daß die Tätigkeit Ihres Vereins dazu beigetragen hat, über das Wesen 
der Marine Aufklärung zu bringen.“ Prinz Heinrich führte dann weiter 
aus, daß Deutschland neben der kampferprobten Armee einer Flotte be- 
dürfe, um den Frieden zu wahren und gesichert dazustehen. Gelinge es 
dem Deutschen Flottenverein, diese Anschauung zur Geltung zu bringen, 
dann habe er seine Schuldigkeit getan. (Stürmischer, lang anhaltender, 
oft wiederholter Beifall.) 
Europäischer Geschichtskasender L. 13
	        
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