Bas Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 12.) 201
zu belasten und damit aufs schwerste zu schädigen. Sie verwahrt sich
ferner einmütig gegen eine Gesetzesmacherei, welche dazu geführt hat, daß
man ohne Anhörung von Sachverständigen und ohne jede Berücksichtigung
der wirtschaftlichen Folgen eine Reihe von Gesetzentwürfen beschlossen hat,
die jedes Verständnis für die Lebensinteressen und Bedürfnisse des deutschen
gewerblichen, kaufmännischen und industriellen wirtschaftlichen Lebens ver-
missen lassen. Lediglich auf diesem Wege konnten Steuerprojekte ent-
stehen, welche, wie in erster Linie die sogenannte Kotierungssteuer, die
Mühlenumsatzsteuer und der Kohlenausfuhrzoll, geeignet sind, die Kon-
kurrenzfähigkeit Deutschlands, insbesondere der deutschen Exportindustrie,
gegenüber dem Auslande zu schwächen und für die Gesamtheit wertvolle
Erwerbszweige zu vernichten. Die Versammlung erwartet, daß der Herr
Reichskanzler und die verbündeten Regierungen dem Reichstage gegenüber
aufs energischste die Unannehmbarkeit der vorliegenden Kommissionsbeschlüsse
vertreten und daß sie sich auch künftig jedem Versuche, Steuern, welche
die Gesamtheit zu tragen hat, auf einzelne Stände abzuwälzen, mit Ent-
schiedenheit widersetzen werden. Die Versammlung ist der Ueberzeugung,
daß die Reichsfinanzreform neben der Einführung von Verbrauchsabgaben
den gesunden Gedanken einer allgemeinen Besitzsteuer, am zweckmäßigsten
in Form einer angemessenen Erbanfallsteuer zu verwirklichen hat.
Die Versammlung begleitet die Verlesung mit stürmischem Beifall.
Der Vorsitzende Riesser gibt folgendes Antworttelegramm des
Kaisers bekannt. Die Versammlung hat sich von den Sitzen erhoben:
Neues Palais. Ich spreche den versammelten Vertretern von Handel
und Industrie den wärmsten Dank aus für die freundliche Begrüßung.
Wilhelm I. R. (Stürmischer Beifall.)
Darauf verliest Geheimrat Riesser den zweiten Teil der Resolution.
Er lautet: 2. Die aus Anlaß der Beratungen der Finanzkommission von
neuem gemachten bittern Erfahrungen haben bei den Versammelten die
einmütige Ueberzeugung wachgerufen, daß Handel, Industrie und Gewerbe
nur durch einen dauernden, fest organisierten Zusammenschluß ihre be-
rechtigten Interessen gegen Schädigungen und Vergewaltigungen zu schützen
vermögen. Zur Herbeiführung dieses Zusammenschlusses begründen hiermit
die Anwesenden, soweit sie kaufmännisch, gewerblich oder industriell tätig
sind, den Berein Hansabund für Gewerbe, Handel und Industrie, dessen
Zweck es sein soll, im gemeinsamen Interesse dieser Stände alle gegen die-
selben gerichteten Angriffe und Schädigungen abzuwehren, ferner positive
zum Schutze dieser Stände dienende Vorschläge zu machen und auf Aus-
gleichung von Gegensätzen in den eigenen Reihen hinzuwirken.
Demgemäß soll der Verein auch die Aufgabe haben, bei der Vor-
bereitung von Wahlen zum Reichstage und zu den Einzellandtagen für
die Wahl solcher Kandidaten einzutreten, die jeder Schädigung und jeder
einseitigen Belastung von Handel, Industrie und Gewerbe entgegenzutreten
entschlossen sind; in erster Linie soll hierbei für die Wahl von Kandidaten
aus den eigenen Reihen dieser Stände eingetreten werden. Die Versam-
melten ermächtigen das Präsidium der heutigen Versammlung oder eine
von diesen zu erwählende Kommission, alsbald alle Schritte vorzunehmen,
welche zu sofortiger Betätigung des Vereins erforderlich erscheinen. Ins-
besondere soll das Präsidium ermächtigt sein, die Satzungen festzusfegzen.
einen Gesamtausschuß, in welchem auch Delegierte von Vereinen und Ber-
bänden Platz finden sollen, und aus der Mitte desselben einen geschäfts-
führenden Ausschuß zu bilden.
Es erfolgt einmütige Annahme. Mit einem dreimaligen Hoch auf
den Kaiser wird die Versammlung geschlossen.