206 Haes Nerische Reich und seine einfelnes Glieder. (Juni 16.)
würde ich für ein historisches Unrecht halten und für einen politischen
Fehler. (Beifall links.) Was in dem alten Einheitsstaat Preußen möglich
und gut war, ist nicht immer möglich und gut in dem Bundesstaat
Deutsches Reich. Man wird in Süddeutschland und Mitteldeutschland
lernen müssen, den Wert des konservativen Preußens höher, viel höher zu
schätzen. (Lebhafter Widerspruch und Gelächter links. Sehr richtig! rechts.)
Man wird aber auch in Preußen nicht vergessen dürfen, daß der Liberalis-
mus auch für das Deutsche Reich unentbehrlich ist.
Wenn ich mich nun frage, warum die parlamentarische Stärke der
liberalen Parteien wohl nicht der starken Vertretung des liberalen Ge-
dankens entspricht, so finde ich die Erklärung nicht nur in dem Empor-
kommen der Sozialdemokratie, auch nicht allein in der Entziehung liberaler
Kräfte durch den Kulturkampf, sondern auch in einem gewissen doktrinären
Zug der linksstehenden liberalen Gruppen (Lachen links), der die Stärke
der im Fluge der Zeit wachsenden neu auftauchenden Bedürfnisse unter-
schätzt. So habe ich es gerade vom Standpunkt der Linken für einen
Fehler gehalten, daß sie sich so unendlich lange aufgehalten hat bei der
sogenannten Liebesgabe (Hallo der Sozialdemokraten) und daß sie beie
einer ausreichenden durchgreifenden Besteuerung des Tabaks die wohl-
erwogene und durchdachte Steuervorlage der Regierung a# limine abgelehnt
hat. (Gelächter der Sozialdemokraten.) Ich habe es auch nicht verstanden,
daß sie gegenüber einer nach ihrer Ansicht unzulässigen Handhabung der
Geschäftsordnung sich nicht mit einem Protest begnügte, sondern sich von
den weitern Verhandlungen fern hielt. (Gelächter der Sozialdemokraten.)
Es gibt sehr wenig Beispiele für die Nützlichkeit einer solchen Taktik, aber
sehr viele für ihre Unvorteilhaftigkeit. Ich glaube, eine Partei ist immer
besser daran, wenn sie auf dem Posten bleibt und bereit ist, weiter zu
fechten, als wenn sie demonstrativ das Feld räumt. Sie hätten auch in
einer ganzen Reihe von steuerlichen Einzelfragen sehr wohl agrarfreundlich
auftreten können und dabei doch liberal bleiben können. (Lebhafter Wider-
spruch links.) Wenn ich in den zahlreichen, ich kann wohl sagen, zahllosen
Unterredungen, die ich über diesen Gegenstand, über die Finanzfrage ge-
habt habe, zu den Vertretern Ihrer Richtung sagte: Seien Sie entgegen-
kommender, z. B. bei der Spiritussteuer, da wurde mir nicht selten erwidert:
ja. Sie haben vielleicht recht, aber das Programm! (Heiterkeit rechts.)
Programme veralten. Sie werden leicht zu Kulissen, hinter denen man
stehen bleibt, ohne in den Gang der Handlung auf der Bühne einzugreifen.
Das haben wir auch im vorliegenden Falle gesehen. Wenn ich mich nicht
irre, so sollen auch Ihre Programme den Bedürfnissen der deutschen Reichs-
interessen entsprechen, und doch haben Sie sich das große Verdienst ent-
gehen lassen, diesen Bedürfnissen abzuhelfen. Aehnlich liegt es auch mit
den Erfahrungen, die man hinsichtlich der Besteuerung des Massenkonsums
gemacht hat. Man kann vor 20 Jahren ein scharfer Gegner aller Mehr-
belastungen der Massen gewesen sein und kann doch heute nach einer
glücklichen Entwickelung der wirtschaftlichen Verhältnisse, aber einer un-
glücklichen der Finanzverhältnisse zu der Ueberzeugung gekommen sein,
daß eine Heilung der Krankheit ohne starke Dosen der Steuer auf Genuß-
mittel einfach nicht möglich ist. (Sehr richtig! rechts.)
Ich erkenne es durchaus an, ich erkenne es hoch an, daß die Linke
sich nicht grundsätzlich auf diesen Standpunkt gestellt hat. Ich betrachte
es nicht nur als natürlich, ich betrachte es als notwendig und gerecht, daß
neben dem Verbrauch auch der Besitz zur Deckung herangezogen wird.
(Beifall.) Damit, meine Herren, komme ich zu der Haltung der rechten
Seite dieses hohen Hauses. (Ahal und große Heiterkeit.) Im Lande, wo