Das Veuische Reich und seine eintelnen Glieder. (Juni 16.) 207
keine Partei die absolute Mehrheit hat, kann auch keine Partei verlangen,
daß die Regierung nur auf ihre Worte schwört. Weil ich mich hierzu
egenüber der Zentrumspartei nicht enischließen konnte, ist es zu einem
ruch mit dieser Partei gekommen. Ich kann mich auch der rechten Seite
nicht unterordnen. Wenn es in diesem Lande einen Minister gegeben hat,
der die Bedeutung der konservativen Partei zu schätzen weiß, so bin ich
es. (Sehr wahr! links.) Ich habe von Anfang an, sobald ich Minister
wurde, es als meine Aufgabe betrachtet, die Spannung zu beseitigen, die
damals zwischen der konservativen Partei und der Krone bestand. Ich
habe in jahrelanger Arbeit mit großer Mühe, mit großer Geduld die
gänzlich verfahrene Kanalfrage eingerenkt. Ich bin vom ersten Tage,
buchstäblich von der ersten Stunde meiner ganzen Tätigkeit für die Wünsche,
für die Bedürfnisse, für die Interessen der Landwirtschaft eingetreten.
(Sehr richtig!) Ich glaube, meine Herren, Sie (nach rechts) werden lange
warten können, bis Sie wieder einen Kanzler bekommen (lebhafte Zu-
stimmung links und große Heiterkeit), der konservative Interessen, die
wahrhaft konservativen Interessen und die wirklichen und dauernden Be-
dürfnisse der Landwirtschaft so konseguent und — ich füge hinzu — so
erfolgreich vertritt wie ich. Aber von der Linie, die mir das Staats-
interesse vorschreibt, lasse ich mich auch nicht durch die konservative Partei
abbringen. Ich bin nicht ein Führer der konservativen Partei und habe
ihr keine Ratschläge zu erteilen. Aber, soweit meine historischen Kennt-
nisse und mein politisches Empfinden reichen, glaube ich, daß die konser-
vative Partei sich selbst am meisten schadet, wenn sie sich berechtigten
Forderungen verschließt. (Sehr wahr! links.) Die verbündeten Regierungen
sind der Ansicht, daß ein Betrag von 500 Millionen an neuen Steuern
nicht lediglich durch eine weitere Ausgestaltung der indirekten Steuern
geschaffen werden kann. Bereits in der Begründung zum Finanzgesetz-
entwurf haben wir gesagt: Neben der Belastung der allgemeinen Gareg=
mittel, der Steuern auf Elektrizität, auf Gas und Anzeigen erweist es sich
als absolut notwendig, zur Deckung auch solche Steuern heranzuziehen,
die vornehmlich von den Besitzenden getragen werden. Es würde gegen
die vornehmsten Grundsätze der deutschen Sozialpolitik verstoßen, wenn die
Reform der Finanzen ausschließlich auf Abgaben aufgebaut würde, die
trotz der Errungenschaften der Sozialpolitik und trotz der fortgesetzten
Steigerung aller Einkommen die ärmeren Volksklassen erheblich höher be-
lasten. Es heißt dann weiter in der Begründung: „Dieser Ausgleich
durch Heranziehung der Besitzenden kann nicht auf dem Wege der direkten
Einkommens= und Vermögensbesteuerung erfolgen, da diese das unent-
behrliche Fundament der einzelstaatlichen Finanzwirtschaft bildet. Sie ein-
reißen, heißt die Finanzen der Einzelstaaten und der Selbstverwaltungs-
körper in dieselbe Bedrängnis bringen, in der das Reich sich befindet.
Die verbündeten Regierungen sind daher fest entschlossen, neben den Ver-
brauchssteuern die Erbschaftssteuer zur Deckung des Bedarfs heran-
zuziehen.“ Und weiter heißt es: „Hiernach kann die notwendige allgemeine
Heranziehung des Besitzes nur durch Ausbau der Erbschaftssteuer erfolgen.
Diese ermöglicht wie kaum eine andere eine Belastung nach der Größe des
Vermögens und entspricht daher vorzüglich den Anforderungen sozialer
Gerechtigkeit.“ Die hier bekundete Auffassung haben die verbündeten
Regierungen konsequent festgehalten, und sie ist auch von mir stets zum
Ausdruck gebracht worden. Wenn die Erbschaftssteuer vermieden werden
soll, so müßte eine gleichartige, die verschiedenen Arten des Besitzes treffende
Steuer gefunden werden. Solange eine solche Steuer nicht gefunden ist,
müssen die verbündeten Regierungen an der Erbschaftssteuer festhalten.