Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

218 Das Venische Reich und seine rindelnen Glieder. (Juni 17.) 
daß wir zu einem brauchbaren Ziel gelangen. Der Führer einer großen 
Partei, Herr Bassermann, hat sich die wilden Angriffe, die seit Wochen 
gegen die Konservativen geschleudert werden, wir handelten aus Eigennutz, 
betrieben Privilegien für den Großgrundbesitz usw. (Lärm und Gelächter) 
zu eigen gemacht. Die Nationalliberalen sollten doch aus ihrer Verärgerung 
urückkommen und wieder sachlich und ruhig erwägen. (Zurufe links.) Es 
ist nicht wahr, daß die Kouservativen die Bäter aller Hindernisse sind. 
Nachdem monatelang die Arbeit stagnierte, waren gerade wir es, die 
frische Initiative hineinbrachten. (Hallo links.) Für die Bewilligung von 
360 Millionen ist eine absolut sichere Mehrheit vorhanden und ihre Bereit- 
sellung ist unserer Initiative zu danken. (Der Reichskanzler betritt in 
iesem Augenblick den Saal.) Auch für die Belastung des Besitzes, fährt 
der Redner fort, ist die konservative Partei eingetreten. Strittig ist nur 
die Art der Belastung. Unsere Gegenvorschläge sind wohl erwogen und 
auch aus formalen Gründen zu rechtfertigen. (Diese Feststellung findet 
unter allgemeiner Heiterkeit der Linken ven demonstrativen Beifall der 
Rechten.) Die neue Erbsteuervorlage ist für uns mit ebenso schweren Be- 
denken verbunden wie die vorige. Der Redner sucht diese Bedenken zu 
rechtfertigen. Noch immer enthalte die Vorlage eine Benachteiligung des 
immobilen Besitzes. 
Der Redner bespricht die Frage der Schenkungen. Hier könne das 
mobile Kapital leicht der Steuer ausweichen, ein Gut aber könne man 
nicht verschenken und eine Scheune nicht auf die Bank von England schicken. 
Die Mähr von agrarischen Steuerhinterziehungen sei lächerlich. Infolge 
der Erbschaftssteuer werde man eben nicht mehr sparen. (Große Heiterkeit 
links.) Gerade die Geschichte der Erbsteuer beweise die Richtigkeit des 
Grundsatzes principiis obsta! Man dürfe darum die heutige Vorlage nicht 
zum Gesetz machen. Die Haltung der Partei sei stets die gleiche gewesen 
und sie sei schon ablehnend gewesen, als auch das Zentrum sich dagegen 
ausgesprochen habe. Diesen Beistand habe die Partei selbstverständlich 
begrüßt. (Großes Hallo links.) Unsere Haltung ist nicht von dem Wunsch 
beeinflußt gewesen, den Reichskanzler zum Rücktritt zu bewegen, vielmehr 
hat unsere Initiative dem Reichskanzler den Boden geebnet zum Zustande- 
kommen der Reichsfinanzreform. (Großes Hohngelächter links, in das auch 
der Präsident Stolberg einstimmt.) Der Redner fährt fort: „Ich möchte 
also der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Reichskanzler noch einen Weg 
findet, auf dem es ihm möglich sein wird, in Betätigung seiner bewährten 
patriotischen Empfindung auch unter Berücksichtigung unseres Standpunkts 
die Reichsfinanzreform zu Ende zu bringen.“ (Lebhafter Beifall rechts.) 
(Plötzlich fällt der tiefe Baß Singers ein mit dem Ruf: „Armer Bülowl“ 
Es entsteht minutenlang eine allgemeine Heiterkeit, der sich auch Fürst 
Bülow und die ganze Ministerbank hingibt.) Der Redner bespricht das 
Verhalten der Nationalliberalen in der Erbschaftssteuerfrage und fährt fort: 
Meine politischen Freunde erachten die grundsätzlichen Bedenken, die sie 
gegenüber der Heranziehung der Kinder und Ehegatten hegen und schon 
zum Ausdruck gebracht haben, auch durch die neuen Vorlagen für nicht 
aufgeräumt. Sollte Kommissionsberatung gewünscht werden, so werden 
wir uns entschließen, in der Kommission mitzuarbeiten. Es geschieht das 
mit Rücksicht auf die verbündeten Regierungen, die eine genaue Prüfung 
wünschen. (Das Haus hört diese Erklärung schweigend an.) Der Redner 
bespricht sodann die andern Ersatzsteuern und äußert zablreiche Bedenken, 
die ebenfalls in der Kommission näher geprüft werden sollten. Eingehend 
bespricht der Redner auch die Vorzüge einer Kotierungssteuer, die die 
Regierung im Jahre 1893 selbst vorgeschlagen habe. BWestarp schließt: 
 
	        
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