Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das NVeeuische Reich und seine einzelnen Slieder. (Juni 17.) 221 
links. Lachen rechts.) In allen Parteien sind Gegner und Freunde dieser 
Steuer, und haben sich die Meinungen geändert. Herr Spahn hätte auch 
noch auf andere Schuldige in seiner Partei hinweisen können, z. B. Herrn 
Fritzen. (Hört, hört! links.) Und Dr. Am Zehnhoff hat ja in der Kom- 
mission selbst damals den Antrag gestellt. (Sehr richtig! links.) Ich möchte 
noch auf eine durchaus zutreffende Auslegung der „Kreuzzeitung“ hin- 
weisen vom 4. Februar 1906. (Der Finanzminister verliest Fb) Es heißt 
da: „Wir können wohl in die Zwangslage kommen, einer Steuer zu- 
zustimmen, die uns höchst unsympathisch ist. Sie (die Konservativen) 
önnten dabei von der Erwägung ausgehen, daß die Herbeiführung einer 
eordneten Finanzwirtschaft im Reiche selbst ein schweres Opfer erheischt.“ 
ir sollten uns alle in dem Bestreben einigen, über die Schwierigkeiten 
hinwegzukommen und einen Weg zu finden. Seit 1906 hat sich sodie 
Situation wesentlich geändert. Damals handelte es sich um ein Bedürfnis 
von 230 Millionen, jetzt um nicht weniger als 400 Millionen aus in- 
direkten Steuern. Wir haben auf dem ganzen weiten Gebiete der Ver- 
brauchsabgaben eine Erhöhung vorgenommen, daß darüber hinaus die 
100 Millionen nicht aufgebracht werden können. Daneben fordert es die 
soziale Gerechtigkeit, daß auch der allgemeine Besitz herangezogen wird, 
und da sich das auf dem Wege einer Einkommen= oder Vermögenssteuer 
verbot, blieb nur die Erbschaftssteuer unter Ausdehnung auf Deszendenten 
und Ehegatten übrig, denn durch jede andere Art der Besteuerung des 
Besitzes werden immer nur einzelne Abschnitte, einzelne Arten des Besitzes 
getroffen. (Sehr richtig! links.) Diese ziffernmäßigen Daten sind doch 
nur das Symptom, aber das beredte Symptom für die Verschiebung, die 
Verschlechterung der ganzen Situation seit 1906. Was damals geboten 
war, unsere Reichsfinanzen endlich auf geordnete Grundlagen zu stellen, 
das ist jetzt einfach eine dira necessitas geworden, eine Lebensfrage des 
Deutschen Reichs, vielleicht die wichtigste Frage, seit das Deutsche Reich 
überhaupt besteht. (Lebhafte Zustimmung.) Wir wollten keine Erbschafts- 
steuer zulassen, die das feste Gefüge unseres bäuerlichen Besitzes erschüttern 
könnte, denn wir haben alle Veranlassung, die Landwirtschaft, das festeste 
Bollwerk unseres ganzen Staates, zu erhalten. Wenn auch die Zahl der 
in der Landwirtschaft beschäftigten Personen zurückgegangen ist, so ist sie 
doch keine quantité négligeable, gerade weil unsere ganze Entwickelung 
mehr nach der industriellen Seite sich drängt, müssen wir um so mehr 
suchen, den Lebensbedürfnissen der Landwirtschaft entgegenzukommen. Ich 
muß aber bestreiten, daß die Vorlage die Landwirtschaft schädigt, wie be- 
fürchtet wird. Es herrscht über die Vorlage vielfach eine erstaunliche Un- 
kenntnis. (Zustimmung.) Leute haben zu mir vom Untergang der Land- 
wirtschaft gesprochen, die nicht einmal die Vorlage gelesen hatten. (Leb- 
haftes Hört!) Man kannte vor allem die Schutzbestimmungen nicht, die 
für die Landwirtschaft geschaffen worden sind, die dieses Schutzes durchaus 
würdig und bedürftig ist. Die Nachlässe bis 20000 Mark sind freigelassen, 
das beißt ½ unserer ganzen landwirtschaftlichen Betriebe fallen nicht unter 
das Gesetz. (Lebhaftes Hört, hört! bei den Liberalen.) Weiter wird der 
einzelne Anfall nur getroffen, wenn er mindestens 10000 Mark beträgt. 
Nehmen wir durchschnittlich drei Kinder an, so sind also Vermögen unter 
30000 Mark steuerfrei. Nun haben wir 1300000 selbständige Landwirte, 
davon sind mit einem Vermögen von mehr als 30000 Mark nur 130000 
Personen veranlagt, also nur 10 Prozent der selbständigen Landwirte fallen 
unter das Gesetz, 90 Prozent bleiben frei. Für das Gesetz kommen nur 
35 Prozent in Betracht. (Lebhaftes Hört, hört! links.) 65 Prozent aller 
ergänzungssteuerpflichtigen Vermögen bleiben also überhaupt frei und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.