Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

226 Das Denisqe Reiq und seine einjelnen Glieder. (Juni 18.) 
Wahnsinn hingestellt. Dabei hat sich die Kotierungssteuer in Frankreich 
bewährt. Nun kommt die Regierung mit den feinen Haarspaltereien, daß 
es sich um eine Vermögenssteuer handle, die den Einzelstaaten zustehe. 
Wir haben uns auf die Kotierungssteuer in der vorliegenden Form nicht 
verbissen, wir sind auch mit Abänderungen einverstanden. Es haben auch 
Leute, die anerkanntermaßen etwas vom Börsenspiel verstehen, ähnliche 
Vorschläge gemacht, z. B. Dr. v. Eichborn in der „Schlesischen Zeitung“, 
Georg Bernhard im „Plutus“" und dann der frühere nationalliberale Ab- 
geordnete Dr. Heydweiller. 
Demgegenüber betont der Schatzsekretär Sydow den Standpunkt 
der Regierung: Wir standen schon vor der Bersammlung im Zirkus Schu- 
mann der Kotierungssteuer ablehnend gegenüber. Nun ist gesagt worden, 
die Börse könne ruhig 60 Millionen hergeben. Ja, sie gibt sie aber nicht. 
(Große Heiterkeit.) Die Kommissionsvorschläge zwingen sie nicht dazu. 
Sie können wohl der Börse das Geschäft verderben, aber den Schaden 
haben andere Kreise — auch die landwirtschaftlichen. Bei Beginn des 
Krieges 1870/71 hat die Aufbringung der Anleihe große Schwierigkeiten 
gemacht, der Vorwurf trifft aber alle beteiligten Kreise. Allgemein wurde 
mit dem Gelde zurückgehalten. Wir müssen für solche Fälle eine Organi- 
sation des Kapitals haben, denn die Summen, die in Frage kommen, sind 
ganz ungeheuer. Wir haben keine Veranlassung, das ausländische Kapital 
von unseren Banken zu verdrängen. Es kommt auch unserer Industrie, 
unserem Handel und Wirtschaftsleben zugute. Durch die Kotierungssteuer 
würde der Diskont nur erhöht werden. Wir können der Aufforderung 
nicht folgen, das Geld zu nehmen, wo wir es finden. So schlecht sind die 
deutschen Finanzen noch nicht, daß wir alles nehmen müssen, was nur 
irgendwie da ist. Maßgebend muß auch die Rücksicht auf das wirtschaft- 
liche Leben sein, und wenn wir der Ueberzeugung sind, daß eine Steuer 
schädlich ist, dann lehnen wir sie ab. Wir können diese Steuer nicht in dem 
Augenblick einführen, wo sie in Frankreich abgeschafft wird. (Beifall links.) 
Abg. Momnsen (fri. Vgg.): Effekten= und Wechselstempel — schön, 
wir machen Herrn Raab die Freude und würden dafür stimmen, obgleich 
es keine schönen Erfindungen sind. Ganz anders liegt es beim Scheck- 
stempel. Man hat ein Talent, bei Reformen des Geldmarkts immer ein 
Pferd vor und ein Pferd hinten anzuspannen, das beneidenswert ist. Aber 
die Policensteuer stellt alles andere in den Schatten, sie ist die aller- 
schlimmste, die man sich ungefähr denken kann. Den einzigen Vorteil hat 
sie, daß da die Agrarier mitzahlen müssen. Der Handwerker, der Bauer 
wird Ihnen für diese Steuer dankbar sein! Kohlenausfuhrzoll, Parfümerie- 
steuer usw. Nicht die Steuern selbst, sondern die Art, wie sie gemacht 
sind, über Nacht, ohne jemand Gelegenheit zu geben, sich zu äußern, hat 
mit einem Schlage alle die Kleinen und Mittleren an die Seite der Großen 
geführt. Mit den Börsensteuern allein hätten Sie die Leute gewiß nicht 
so aufsässig gemacht. Herr Raab will wissen, wie wir die 225 Millionen, 
die noch fehlen, aufbringen wollen. Wir wollen es, aber Steuervorlagen 
schüttelt man nicht aus dem Aermel. Wir verlangen von der Regierung, 
daß sie die Stenern, die sie haben will, selber vorschlägt und vertritt. 
Das ist nicht Sache des Parlaments. Die Bundesstaaten wehren sich mit 
Händen und Füßen gegen die Vermögenssteuer, aber wenn sie all die 
Steuern der Kommission bekommen, dann werden sie im stillen Kämmerlein 
sich überlegen, ob es nicht besser gewesen wäre, die Reichsvermögenssteuer 
zu nehmen. Bis zu den Osterferien war ja auch die Rechte und das 
Zentrum mit uns einig, daß wir uns hüten müssen, neue Steuern vor- 
zuschlagen; erst als der Bruderkuß zwischen Zentrum und Konservativen
	        
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