Dae Ventsche Reich und seine einelnen Glieder. (Juni 24.) 237
Familiensinn. Denken wir an die alte deutsche, in unserm Volke tief ein-
gewurzelte Anschauung, daß das Eigentum Familieneigentum und nicht
Eigentum des Vaters oder der Mutter ist. (Lebhafte Zustimmung rechts
und im Zentrum.) Es trägt einen ganz äußerlichen, formal juristischen
Gesichtspunkt in diese Verhältnisse hinein, wenn man das Vermächtnis
der Eltern dem Vermächtnis entfernter Verwandter gleichstellen will. In
dem einen Fall handelt es sich um einen Zuwachs fremden Gutes, viel-
leicht um ein ganz unverhofftes Glück, in dem andern Falle darum, daß
das Eigentum der Familienmitglieder nach dem Tode des Vaters den
Kindern zufallen muß. (Lebhafter Beifall rechts und im Zentrum.) Das
ist ein ganz anderes in das Gemüt eingreifendes Verhältnis. (Beifall im
Zentrum und rechts). Wie wollen Sie das Intestatrecht der Kinder wissen-
schaftlich rechtfertigen, wenn Sie das Eigentum nicht als Familieneigentum
betrachten? Dann müssen Sie einfach auf die alte Lehre zurückkommen,
daß das Vermögen das jus primi occupantis ist. (Zustimmung rechts und
im Zentrum.)
Meine politischen Freunde haben aus diesen Erwägungen heraus
sich bereits 1906 gegen die Einbeziehung der Deszendenten und Ehegatten
erklärt, und als im März vorigen Jahres in der bayerischen Reichsrats-
kammer von dieser Frage die Rede war, habe ich erklärt, daß wir dabei
in vollständiger Uebereinstimmung stehen mit den preußischen Konservativen.
Ich habe mich damals ausdrücklich auf eine Aeußerung des Führers der
preußischen Konservativen berufen, der mir dazu das Recht gegeben hatte.
Hiernach können Sie sich nicht wundern, daß wir in dieser Frage auf der
Seite der preußischen Konservativen stehen. (Rufe links: Nein umgekehrt!
Heiterkeit.) Und noch eins! Wir haben in den Zeitungen gelesen, daß
hervorragende einflußreiche Parteien dieses Hauses von dem Ausfall der
Abstimmung über die Erbschaftssteuer ihre Stellung zu den indirekten Steuern
abhängig machen. Ich habe hier keine Beschlüsse meiner Freunde mitzu-
teilen, aber ich möchte doch zur Erwägung geben, daß, was dem einen
recht ist, dem andern billig sein wird. (Hört, hört! und Bewegung.)
Dr. David (Soz.): Wenn die Erbschaftssteuer heute der wichtigste
Punkt ist, so haben ihn die Konservativen dazu gemacht. Sie sagen: Prin-
zipienfragen. Das ist das Prinzip des großen Portemonnaies. Die konser-
vative Partei, meint Herr Sieg, hätte sich in stockfinsterer Nacht durchgetastet:
Sie hat sich gefunden in den Taschen der andern. Herr v. Richthofen
äußerte sittliche Entrüstung, daß seine Partei jemals daran dächte, einen
Reichskanzler zu stürzen. Wer hat Bismarck gestürzt, wer Caprivi? In
diesem Punkt haben sich die Herren vom Zentrum auch sehr gern bereit
gefunden, den Bund mitzumachen. Daß die Regierung es nicht wagen
kann, die Erbschaftssteuer einfach unter den Tisch zu werfen, ist ein Ver-
dienst der Sozialdemokraten, auf die man doch Rücksicht nehmen muß.
Aber trotz Erbschaftssteuer wird auch die Nachlaßsteuer kommen und die
Vermögens= und Einkommensteuer. Die ganze Steuer ist eine sozial-
demokratische Jdee. Die Regierung hat nur in den guten sozialdemo-
kratischen Wein eine gehörige Portion Wasser gegossen. Jetzt sind die
Herren Konservativen auf einmal Bauern. Wenn man sie gesellschaftlich
als solche bezeichnen würde, riskierte man, ein Duell auf den Hals zu
bekommen. (Heiterkeit.) Ich wundere mich nur, wie das Zentrum seine
Stellung vor den Wählern verantworten will; mit einem gewissen Grad
von Dummheit bei seinen Wählern kann es ja rechnen. (Lärm im Zentrum.)
Aber schließlich können sie doch nicht so dumm sein, daß sie nicht diese
Politik durchschauen. (Beifall der Sozialdemokraten.)
Dr. Müller-Meiningen (Frs. Vp.) gibt eine Erklärung ab über die