Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Dentsqhe Reiq und seine einjelnen Glieder. (Juli 1.) 249 
Nach Artikel IV wird die Grenze, bis zu der das Bier für Rech- 
nung von Gemeinden besteuert werden darf, au 65 Pf. für den Hektoliter 
festgesetzt. Dazu wird ein Antrag Zehnter (Ztr.) angenommen, der be- 
stimmt: Soweit auf Grund der bisherigen Vorschriften Gemeinden vor 
dem 1. Oktober 1908 höhere Abgaben erhoben haben, dürfen diese Abgaben 
auch weiter erhoben werden, wenn nicht durch Landesgesetzgebung andere 
Bestimmungen getroffen werden. 
Das Gesetz tritt am 1. August 1909 in Kraft. Die von Bayern 
und Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen an Stelle der Brausteuer 
an die Reichskasse zu zahlenden Ausgleichsbeträge sollen für 1909 keines- 
falls in höheren Beträgen entrichtet werden, als sie sich nach der Brau- 
steuereinnahme für 1908 ergeben. 
Drei Resolutionen auf Erleichterun der Bedingungen für Gewährung 
des Steuerkredits, auf Aenderung des Schank esäßgeseges und darauf, daß 
die Verordnung über die Eichung der Biergesäße mit dem Brausteuergesetz 
in Kraft tritt, werden angenommen. 
Damit ist das Brausteuergesetz in zweiter Lesung erledigt. 
Inmitten dieser Verhandlungen erfolgen außerhalb der Tages- 
ordnung die folgenden Erklärungen über das Verhältnis des Reichs- 
kanzlers Fürst Bülow zum Bundesrat. 
Zuerst verliest Staatssekretär des Innern v. Bethmann Hollweg 
folgende Erklärung: In Preßäußerungen der letzten Tage wird ver- 
schiedentlich behauptet, daß sachliche Meinungsverschiedenheiten und per- 
sönliche Differenzen zwischen dem Bundesrat, seinen Mitgliedern und dem 
Herrn Reichskanzler bestünden. Ich habe namens des Herrn Reichskanz- 
lers (Singer ruft: Warum kommt er nicht selbst?) und des Bundesrats, 
der mich in einer soeben abgehaltenen Sitzung hierzu einstimmig ermächtigt 
und ausdrücklich darum ersucht hat, diese Behauptungen als jeder Unter- 
lage entbehrend zurückzuweisen. Der Bundesrat ist mit der Haltung und 
dem Vorgehen des Herrn Reichskanzlers durchaus einverstanden. (Gelächter 
der Sozialdemokraten.) Er ist dem Herrn Reichskanzler dankbar, daß er Kaiser 
und Reich den Dienst erwiesen hat, solange im Amte zu bleiben (Lärm der 
Sozialdemokraten), bis die Finanzreform eine den verbündeten Regierungen 
annehmbare Gestalt erhalten hat. (Gelächter der Sozialdemokraten.) 
Der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld gibt folgende Erklärung 
ab: Ich möchte auch meinerseits das Wort nehmen, um zu bestätigen, was 
der Stellvertreter des Reichskanzlers soeben erklärt hat, und besonders die 
Behauptung über angebliche Verstimmungen zwischen den Mitgliedern des 
Bundesrats und dem Reichskanzler ins Gebiet der Fabel verweisen. Ich 
kann nach meiner vollen Ueberzeugung aussprechen, daß der Herr Reichs- 
kanzler, der seit zwölf Jahren dem Bundesrat angehört, mit allen Mit- 
gliedern des Bundesrats die besten, vertrauensvollsten Beziehungen unter- 
halten hat. Insbesondere weise auch ich die nun schon zum zweiten Male 
auftauchende Erfindung von einer persönlichen Verstimmung zwischen mir 
und dem Herrn Reichskanzler aufs entschiedenste hiermit zurück. (Beifall 
im Zentrum, Gelächter der Sozialdemokraten.) 
Dazu schreibt die „Germania“: Die Erklärung des Bundesrats ist 
so allgemein gehalten, daß sie nicht viel mehr als eine Höflichkeit gegen- 
über dem scheidenden Reichskanzler angesehen werden kann, dem man aus 
naheliegenden Rücksichten bei seinem bevorstehenden Abschiede nicht nach- 
sagen lassen will, daß Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Bundesrat 
bestanden hätten, die zu seinem Entlassungsgesuch mit beigetragen haben 
 
	        
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