Das Vesische Reich uud seine einzelnen Glieder. (Juli 10.) 263
auch sein, daß wir damals dieser politischen Notwendigkeit Rechnung ge-
tragen hatten. Aber, m. H., diese Dinge müssen doch auch ein Ende
haben. Wohin kommt eine politische Partei, wenn sie an der Frage des
Rücktritts oder Nichtrücktritts eines Staatsmannes, der nicht abhängig ist
von den politischen Parteien, wenn sie da bis zur letzten Stunde ihre sach-
lichen Ueberzeugungen aufhängen würde. Das ist nichts anderes, als
der reine Gouvernementalismus. Und den kann eine politische Partei,
wie die unfrige, nicht mitmachen, weil an dieser Frage, an dieser Stellung-
nahme die letzte Ueberzeugung hängt, die jede politische Partei haben
muß. Und gerade Sie von der liberalen Seite sollten doch Ver-
ständnis dafür haben, daß es auf der Rechten eine Partei gibt, deren
Ueberzeugung für nichts feil ist, wenn sie so fest verankert ist, wie es in
dem vorliegenden Falle der Fall war. Nein, so war es nicht, daß wir
auch um dieses Preises willen dieses Opfer bringen konnten. Der Reichs-
kanzler hat ja sein Bleiben oder Gehen nach den Aeußerungen, die er
vor einigen Wochen getan hat, auch noch an eine andere Voraussetzung
geknüpft; er hat gesagt, daß er einer Politik nicht werde zustimmen können,
die gegen die Liberalen gemacht wird. Gut, hätten Sie die Konsequenzen
daraus gezogen, eine positive Mitarbeit zu leisten, hätten Sie nicht ver-
sagt, dann hätte der Reichskanzler recht, wenn er sich mit einer solchen
Partei und mit einer solchen politischen Richtung solidarisch erklärte. Aber
ein Staatsmann, der sich mit einer politischen Richtung identifiziert, die
im letzten Augenblick versagt, kann von uns nicht beanspruchen, daß
wir unserseits um einer solchen politischen Konstellation willen zurück-
treten sollen. Das können wir nicht, denn das hat politisch keinen
Zweck. Und konnten wir erwarten, daß der Reichskanzler selbst an eine
solche Parteikonstellation, wie sie sich ergab, an ein solches Parteivotum
seinen Rücktritt knüpfen würde? Das wäre mit seinen eigenen Worten
von der Abweisung eines parlamentarischen Regimes ja ganz unvereinbar.
Konnten wir denn annehmen, daß ein Reichskanzler, der sein Amt nur
seinem Kaiserlichen Herrn und seinem Gewissen verdankt und verdanken
will, vor dem Votum einer Partei, und wäre es auch die unfrige (Heiter-
keit links), zurückweichen würde? Nein, das konnten wir nicht annehmen
und haben wir nicht angenommen. Und deswegen weise ich es zurück, daß
die Stellungnahme, die wir eingenommen haben auf Grund unserer ehr-
lichen Ueberzeugung und auf Grund der Unfähigkeit, mit anderen Parteien
zu arbeiten (Unruhe links) — gewiß, das Motiv, das uns untergeschoben
wird mit dem Motto: Ihr Konservativen wollt den Reichskanzler stürzen —
nein, m. H., das ist nicht der Fall, und ich glaube, Ihnen den Nachweis
von unserem Standpunkt aus geliefert zu haben. Wenn Sie von Ihrem
Standpunkt aus einen anderen Beweis zu liefern imstande sind, mögen
Sie das nachher tun. (Zurufe links.) Ich habe hier nicht den Standpunkt
des HKerrn Reichskanzlers zu vertreten, sondern den Standpunkt meiner
politischen Freunde und das habe ich getan in diesem Punkte bis zuletzt.
Aber, m. H., auch dem würde man sich — ich glaube, wenigstens die Ein-
sichtigen in: Lande würden sich doch diesen Gründen nicht verschließen können.
Unsere Gegner und — ich sage es wieder ganz offen — zum Teil auch unsere
Freunde haben auch noch etwas anderes auf dem Gewissen. Sie klagen
uns an, daß wir es sind, die eine Vorherrschaft des Zentrums, wie es
dereinst war, wieder herbeigeführt haben. Ja, m. H., Sie sehen doch,
wir wissen, wie die Situation liegt, und wir haben den Mut, ihr entgegen-
zutreten. Nun, m. H., wie liegt denn das? Ein Bündnis mit dem Zentrum
hat in dieser Angelegenheit nicht bestanden und besteht nicht. Ja, m. H.,
ich sage das mit voller Ehrlichkeit. Meine politischen Freunde haben ihre