264 Des Veetsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 10.)
Entschließungen auf Grund einer rein sachlichen Erwägung gefaßt, und
wenn die Zentrumspartei auf Grund der Entschließungen, die sie ihrer-
seits zu fassen hatte, zu einem Ergebnis kam, das mit dem unfrigen
sachlich zusammenfiel (Gelächter links), nun, so hatten wir keinen Grund,
das zurückzuweisen, wo es sich um die Vollendung eines solchen Werkes
(Sehr richtig! rechts) von der patriotischen Bedeutung handelt, wie dies
hier, das wir zu vollenden im Begriff sind. Ich frage doch, welche von
den bürgerlichen Parteien dieses hohen Hauses ist nicht auch schon einmal in
dieser Lage gewesen? Was dem einen recht, soll das uns nicht billig sein?
Denken Sie an die Vergangenheit zurück, denken Sie an den großen ersten
Kanzler dieses Reiches, Fürsten Bismarck. Mit welcher Partei hat er
denn die Wirtschaftspolitik im Jahre 1879 gelegt, als wie mit dieser
Partei? Auch gerade Sie von der liberalen Seite, Sie sollten doch wissen,
was unsere Industrie, unser Handel, unser Verkehr, wir sagen auch: unsere
Landwirtschaft, dieser wirtschaftlichen Situation verdanken. Das ist ge-
schaffen von der Zentrumspartei. Das sind Tatsachen, m. H., und der
Fürst Bülow hat mehr als zehn Jahre im Einverständnis mit dieser
Partei die politischen Geschäfte des Hauses geführt.
Also wir befinden uns in einer Gesellschaft, deren wir uns nicht
zu schämen brauchen. Das spreche ich hier ganz offen aus. Das sage ich
aber auch: Jede unserer Parteien ist vollständig frei geblieben für die Zu-
kunft in ihren politischen Entschließungen. Wir werden unserseits bereit
sein, mit jeder der bürgerlichen Parteien zu gemeinsamer politischer Arbeit
zusammenzutreten, vorausgesetzt, daß diese Partei sich uns auf der Basis
der Gleichberechtigung anschließt. Wir wünschen die Vorherrschaft keiner
einzelnen Partei in diesem hohen Hause, weder eine Vorherrschaft des
Liberalismus, noch des Zentrums (Zuruf links: Nur der Konservativen!),
noch nehmen wir für uns selbst eine solche in Anspruch. (Zuruf links:
Sie haben sie schon!) Aber, m. H., was wir mit eben solcher Entschiedenheit
abweisen, ist die grundsätzliche Ausschaltung einer dieser bürgerlichen
Parteien, und wir haben diese grundsätzliche Ausschaltung des Zentrums
nicht nur für einen politischen Fehler gehalten, sondern wir sagen es auch
offen, daß wir sie bedauert haben im Interesse des konfessionellen
Friedens und des Vaterlandes. Wir wissen wohl, die Macht der katho-
lischen Kirche und derer, die ihr angehören, ist groß. Aber wir, die wir
fast ausnahmslos Angehörige und treue Anhänger unserer evangelischen
Kirche sind, wir denken groß genug von der Macht der evangelischen Kirche
und der Freiheit, die ihr Palladium ist (Lachen links), — ja, gewiß m. H. —
daß sie den geistigen Kampf auch mit der katholischen Kirche nicht zu scheuen
hat. Aber was wir nicht wünschen, das ist — das sage ich ganz offen —
eine ziweite Auflage des Kulturkampfs. Das kann nicht zum Frieden dienen
nicht zum Frieden der Konfessionen, nicht zum Segen des Deutschen Reiches.
Und, m. H., was die übrigen Parteien der neuen Konstellation —
Block nennt man sie ja wohl — anbelangt, so werden sie uns ja das
Zusammengehen mit der Reichspartei vielleicht noch am ersten verzeihen,
diese Partei hat ja für die Erbanfallsteuer gestimmt. Dieses BVotum trennt
uns von dieser Partei nicht. So gut wir unsere ehrliche Ueberzeugung
dafür in Anspruch nehmen, daß diese Steuer nachteilig war und daß die
Reichsfinanzreform zustande kommen konnte auch ohne diese Steuer, ebenso
nehmen wir für diese Herren in Anspruch, daß sie eine andere, berechtigte
Ueberzeugung haben konnten. Wir werfen keinen Stein auf den, der es
mit seinem Gewissen nicht für vereinbar halten konnte, anders zu stimmen
als für diese Steuer. Und auch das erkennen wir an, daß diese Herren
wohl glaubten, daß dies der beste Weg wäre, die Reichsfinanzreform zustande