Das Veetsche Reich und seine einzeluen Slieder. (Juli 10.) 267
lichen Bezüge. Das muß Empörung und Wut auslösen. (Unruhe.)
Wenn das Geld heute nicht da ist, dann warte man ein Jahr und mache
dann ganze Arbeit! Aber freilich, so lange das wahnsinnige Wettrüsten
andauert, wird es in Deutschland immer an Geld fehlen. Dafür plündert
man das Volk aus, das tut auch diese Finanzreform, und deshalb lehnen
wir sie ab. (Beifall der Soz.)
Abg. Dr. Hieber (nl.): Wir stehen vor dem Abschluß der Finanz-
reform und einer schweren innerpolitischen Krisis. Es ist seit Jahren das
erste große gesetzgeberische Werk, bei dem wir uns ablehnend verhalten.
Die Tradition unserer Partei bürgt dafür, daß uns der Entschluß nicht
leicht geworden ist. Aber unsere Haltung entspringt reiflichen, sachlichen,
politischen und sittlichen Erwägungen. Ich sagte: Reichsfinanzreform; aber
was heute durch die Mehrheit des Reichstags geschaffen wird, das ist keine
Finanzreform, sondern das ist eine Steuerreform. Denn was war doch
das Programm der Regierung, das sie uns im November vorgelegt hat?
Ich denke, ein dreifaches. Es sollte einmal das Schuldenwesen des Reiches
reformiert werden, zum zweiten sollte das Mißverhältnis zwischen Bedarf
und Deckung durch Bewilligung neuer Steuern ausgeglichen werden, und
zum dritten sollten die Finanzen zwischen Reich und Einzelstaaten sach-
gemäß abgegrenzt werden, das Reich auf eigene Füße gestellt werden. Und
was ist aus diesem Finanzprogramm, diesem Reformprogramm der Re-
gierung geworden? Eine Aufgabe, die betreffs der Steuern, ist einiger-
maßen gelöst, die beiden anderen sind so gut wie völlig aus dem Auge
verloren. Von einer organisierten Neuordnung des Reichsfinanzwesens ist
gar keine Rede mehr. Darüber ist kein Zweifel, so, wie die Reform gedacht
und gewollt war und wie sie im Interesse des Reiches gelegen hätte, ist
sie gescheitert. Die Regierung hat nicht bloß in Einzelheiten ihrer Vor-
schläge, sondern sie hat mit diesen Grundgedanken ihrer Reform eine Nieder-
lage erlitten. Und zwar durch dieselbe Mehrheit, mit deren Hilfe sie die
neuen Steuern jetzt in die Reichskasse bekommt. Nun ein paar Worte zu
den Ausführungen des verehrten Kollegen v. Heydebrand! Er hat sich ja
dagegen verwahrt, daß bei dem Zusammengehen derjenigen Fraktionen, welche
diese neue Mehrheit bilden, irgendwelche besonderen parteitaktischen oder
ähnliche Verabredungen stattgefunden hätten. Ich habe gar keinen Grund,
auch nur den leisesten Zweifel in diese Darlegungen zu setzen. Aber ich
kann mir doch nicht versagen, darauf hinzuweisen: mögen die Konservativen
bei diesem Zusammengehen, vor allem mit dem Zentrum, die Führer oder
die Geführten gewesen sein, der Vorwurf kann ihnen nicht erspart bleiben,
daß, als sie das Bündnis mit dem Zentrum eingingen, sie das eine jeden-
falls wissen mußten, daß das Zentrum, getreu seinen eigentlichen, jahrzehnte-
langen Traditionen bleibt und eine organische Reichsfinanzreform unmöglich
machen wird. Wenn irgend etwas durch die Geschichte des Reichstages
bewiesen ist, so ist es diese Tatsache. Auch das andere konnte den Herren
von der konservativen Fraktion unmöglich verborgen bleiben, daß für das
Zentrum seine Mitarbeit bei der Finanzreform auf das engste und un-
mittelbarste verknüpft war mit dem Rachefeldzug gegen den Reichskanzler.
Darüber konnten die Konservativen sich nicht im Zweifel befinden, daß sie
bei ihrer Mitarbeit für diese Interessen eingespannt werden sollten. Es ist
doch da sehr interessant, einen Rückblick auf die frühere Haltung des Zentrums
auch gegenüber der jetzigen sogenannten Reichsfinanzreform zu werfen. Es
hat schon vor wenigen Tagen der Abgeordnete Pachnicke hingewiesen auf
die beinahe vernichtende Kritik, die der Abgeordnete Speck als Redner der
Zentrumspartei gegenüber den Finanzreformplänen des Reichsschatzsekretärs
bei der ersten Lesung in diesem Hauf= geübt hat. Schon als die Finanz-