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Herr v. Heydebrand hat angedeutet, daß die Konservativen gegen
die Erbanfallsteuer gekämpft hätten, weil ein Zusammenhang mit der
preußischen Wahlrechtsreform bestände. Es waren also für die Konser-
vativen bei der Bekämpfung der Erbanfallsteuer nicht nur gemütliche und
ethische Momente, sondern auch parteipolitische Erwägungen maßgebend.
Die Erbanfallsteuer hat in den letzten Monaten geradezu einen Siegeszug
durch das deutsche Volk gemacht. Wenn sie auch durch eine kleine Reichs-
tagsmehrheit totgeschlagen ist, sie wird wiederkommen. Man hat uns vor-
geworfen, wir hätten uns schmollend beiseite gestellt. (Sehr richtig! rechts
und im Zentrum.) Das ist nicht richtig. Meine Freunde haben von An-
fang an mit allem Fleiß und Eifer mitgearbeitet. Als sie austraten, da
war die sachliche Erledigung zu Ende, da hatten sich die Mehrheitsparteien
bereits geeinigt, und eine weitere Mitarbeit hätte gar keinen Wert gehabt.
Die Mehrheitsparteien gingen ja auch auf sachlich begründete Anträge gar
nicht mehr ein, sondern stimmten sie einfach nieder. Da hatten wir gar
keine Veranlassung mehr, diesen Schlußakt mitzumachen. Auch solche An-
träge haben Sie abgelehnt, denen Sie in einem früheren Stadium zu-
gestimmt haben. Wir haben in jedem Zeitpunkt klar erkennen lassen, daß
wir auch 400 Millionen indirekte Steuern bewilligen wollen, aber Sie
dachten nicht daran, auch den Besitz heranzuziehen. Der Vergleich mit der
Politik des Jahres 1879 hinkt. Damals widerstrebten die Liberalen dem
Programm der Regierung, diesmal sind wir aber für die Regierungs-
vorlage eingetreten. (Zustimmung links.) Was haben Sie nicht alles mit
dem dekorativen Namen Besitzsteuern bezeichnet! Selbst Herr v. Heyde-
brand hat aus guten Gründen nur von sogenannten Besitzsteuern gesprochen.
Diese Steuern werden eine ganze Menge von kleinen und mittlern Leuten
schwer belasten, gerade auch die landwirtschaftlichen Kreise. Sie werden
viel härter wirken als die Erbschaftssteuer. Eine ganze Menge reicher
und reichster Leute werden aber gar nichts bezahlen. Der große Finanz-
plan der Regierung ist zu einer Sammlung einzelner Steuern geworden.
Die Erträge sind viel zu hoch geschätzt, der Konsumrückgang ist gar nicht
berücksichtigt. Als das deutsche Volk sich mehr mit den Steuerprojekten
der Regierung beschäftigte und sie zu verstehen begann, ist es allmählich
von einer gewissen — man muß es so nennen — Steuerfreudigkeit er-
griffen worden. Tausende und Abertausende haben sich davon überzeugen,
ja, dafür begeistern lassen, daß eine sachgemäße Finanzreform eine nationale
Notwendigkeit ist. So war es noch nie: aber der Unterton dieser Steuer-
freudigkeit und Opferwilligkeit war auch die Ueberzeugung, daß diese Pro-
jekte nicht zustande kommen dürfen ohne die allgemeine Besitzsteuer als
soziales Ferment. Heute geht eine Enttäuschung und Verbitterung, ja
eine Verhetzung durch das Land, durch die eine Verschärfung des Gegen-
satzes von Stadt und Land hervorgerufen wird, weil überall die Ueber-
zeugung herrscht, daß der Egoismus und die Selbstsucht einzelner besitzender
Kreise den Sieg davongetragen haben. (Lebhafte Zustimmung links, Wider-
spruch rechts.) Was ein nationales Werk werden sollte, ist ein einfaches
Geschäft geworden. Die Blockpolitik des Reichskanzlers ist nicht in sehr
freundlicher Weise verabschiedet worden. Bei den letzten Reichstagswahlen
ging ein nationaler Schwung durch das ganze Volk. Ohne Unterschied
der Parteien empfindet man es im Volke schmerzlich und wehmütig, daß
dieser nationale Aufschwung, der diesen Reichstag zusammenbrachte, bei
diesem großen Werke ein so klägliches Ende genommen hat. Die Ver-
abschiedung dieser Gesetze trifft zusammen mit dem Rücktritt des Reichs-
kanzlers. Es waren Ezentar sehr gemischte Gefühle mit denen der Abg.
v. Heydebrand dem Rücktritt des Reichskanzlers gegenübersteht. Ich kam