272 Das Penisthe Reith und seine einjelnen Slieder. (Juli 10.)
Parteien nur sehr schwer verstehen, auf politischem und nationalem Ge-
biete unter höhern Gesichtspunkten ihre Gegensätze auszugleichen. Diese
Erfahrung müssen wir eben in der jetzigen Zeit hinnehmen und hoffen,
daß die Blockpolitik, die wir in diesen Jahren durchgemacht haben, wenig-
stens nicht ganz ohne gewisse erziehliche Einwirkung an uns allen vorüber-
gegangen ist. Nicht zugeben kann ich, daß der Reichskanzler bei dieser
Blockpolitik sich mit dem Liberalismus identifiziert habe. Der Reichskanzler
hat sich in doch sicherlich wohl abgewogenen Worten nur dahin ausgesprochen,
daß er die Geschäfte des Reichs bei einer so wichtigen Vorlage wie dieser
nicht unter Ausschaltung des Liberalismus und im Gegensatz zu dem Li-
beralismus führen wolle. Das ist nicht Jdentifizierung mit dem Liberalismus,
sondern das ist eine vorsichtige Ausdrucksweise für eine gewisse Kompromiß-
politik, ohne die, wie auch der Abg. Heydebrand gesagt hat, bei der Zer-
fahrenheit und Vielgestaltigkeit unseres Parteilebens überhaupt die Reichs-
geschäfte von keinem Reichskanzler jemals geführt werden können. Der
Abg. Singer hat vorhin auch eine gewisse Bemerkung des Hohnes über
die Blockpolitik gemacht. Es ist aber nicht das schlechteste Zeugnis für die
Blockpolitik dieser Jahre, daß sie das schwere und scharfe Mißfallen der
Sozialdemokratie gefunden hat. Jedenfalls will ich feststellen, daß zwischen
dem nationalen Liberalismus und der Sozialdemokratie eine tiefe und
unüberbrückbare Kluft jetzt und künftig besteht. Der Reichskanzler hat sich
um unser deutsches Wirtschaftsleben und speziell um die deutsche Landwirt-
schaft unvergängliche Verdienste erworben. Sein Sturz durch die neue
Mehrheit bei dieser Reform wird in ganz besonderm Maße eine Illustration
des alten Wortes sein, daß in der Politik selten oder nie auf Dankbarkeit
zu rechnen sei. Wir gehen aus diesem Kampfe als die Besiegten hervor.
Auch die Regierung hat eine Niederlage erlitten (Zuruf links: Eine?),
auch wenn sie jetzt die 500 Millionen in die Reichskasse bekommt. Wir
wollen die Sieger und die Besiegten beim Abschluß dieses Kampfes in
ihrem Gefühle nicht weiter stören. Das Urteil über diesen Sieg und über
die dabei Beteiligten können wir ruhig unsern Wählern und der Geschichte
überlassen. Das Werk, das die neue Mehrheit geschaffen hat, ist und bleibt
ein Stückwerk, das nach Verbesserung, nach Fortführung geradezu schreit.
Es wird eine Frage nur weniger Jahre sein, daß diese Fortführung er-
folgen muß, eine Reform, die dann den Zweck erfüllen muß, das Reich
auf eigene Füße in seiner Finanzgebarung zu stellen. Die Finanzreform
kann nur erfolgen in dem Geiste und auf der Grundlage, auf der wir
bei der jetzigen Finanzreform mitzuarbeiten uns angeschickt haben und in
jedem Stadium bereit gewesen sind, und bei dieser künftigen Finanzreform
in den nächsten Jahren werden die Besiegten von heute die Sieger sein.
Frhr. v. Hertling (Ztr.): Als am 10. März dieses Jahres hier eine
große Diskussion über die Blockpolitik stattfand, haben wir uns nicht daran
beteiligt. Wir könnten auch heute schweigen und die Tatsachen reden lassen. Ich
möchte Ihnen nur in aller Ruhe gegenüber den vielen Angriffen den Nachweis
erbringen, daß die Haltung meiner politischen Freunde in dieser Frage eine
durchaus konsequente, eine in der Natur der Sache begründete und durch den
Gang der Entwickelung vorgezeichnete ist. Von Anfang an haben wir die Not-
wendigkeit einer Sanierung der Reichsfinanzen durchaus anerkannt. Wir
haben immer erklärt, daß wir nicht daran denken, eine Politik der Ver-
ärgerung zu treiben, und daß wir jederzeit bereit sind, positiv sachlich mit-
zuarbeiten. Es verschlägt nichts, wenn in der ersten Lesung in einer mehr
oder weniger temperamentvollen Art Bedenken ausgesprochen worden sind.
Das wird sich immer wiederholen, daß man zuerst Vedenken in den Vorder-
grund schiebt, die nachher bei näherer Ueberlegung überwunden werden.