Bas Vesche Reich und seine eintelnen Glieder. (Juli 10.) 273
Der Reichskanzler hat auch hier niemals ausgesprochen, daß er die Mit-
wirkung des Zentrums bei dieser Finanzreform nicht wünsche. Ich glaube,
er hat sogar einmal ausdrücklich an sämtliche bürgerliche Parteien appelliert.
Aus den Blockparteien und der Blockpresse klang es anders heraus.
Wie war es nun aber, wenn der Block die Finanzreform nicht
machte? Sollten wir in den Hintergrund treten, sollten wir die Rolle
des tertius gaudens spielen? Das wäre eine Pflichtvergessenheit gewesen,
die wir vor dem Lande nicht hätten verantworten können. Aus diesen
Erwägungen heraus haben wir mitgearbeitet, wenn wir die Mitarbeit auch
nicht freudig übernommen haben. Wir haben das getan, trotzdem das ein
schlechtes Geschäft ist, wenn ein Parlament, das aus großen Massenwahlen
hervorgeht, die Massen belastet. Aber es ist einfach nicht wahr, daß in
Deutschland der größte Teil der Steuern durch die Besitzlosen aufgebracht
wird. Gegen unsern Wunsch und Willen, nur durch den Zwang der Ver-
hältnisse sind wir zur Mitarbeit berufen worden. Es war naturgemäß,
daß unsere Mitarbeit uns an die Seite der konservativen Partei führen
würde. Es verbindet uns mit den Konservativen von vornherein auf
wirtschaftlichem Gebiet eine alte Waffenbrüderschaft. Mit den Konservativen
führte uns auch zusammen die Ablehnung der Erbschaftssteuer. Der Abg.
Hieber sprach von einer kleinen Mehrheit, mit der die Erbanfallsteuer ab-
gelehnt sei. Aber die Minderheit war nur deshalb so groß, weil die
äußerste Linke zu ihr gehörte. Die große Mehrheit der bürgerlichen Par-
teien hat gegen die Erbanfallsteuer gestimmt. Der Vorredner hat gesagt,
der ganze Mittelstand sei für die Erbanfallsteuer. Das ist in dieser All-
gemeinheit sicher nicht richtig. Dadurch, daß man ihren Gegnern egoistische
Portemonnaie-Interessen vorgeworfen hat, ist das Feld verschoben worden.
Sie geben sich überhaupt einer ungeheueren Täuschung hin. Es ist nicht
wahr, daß das deutsche Volk danach lechzt, das Kindeserbe zu besteuern.
Mit vollem Recht hat Herr von Heydebrand gesagt, daß ein Bündnis
zwischen Konservativen und Zentrum nicht besteht. Wir haben uns nur
zusammengefunden, um eine bestimmte Frage gemeinsam zu lösen. Es
gibt keine klerikal-konservative Allianz und wird es nie geben. Das Wort
wäre außerordentlich töricht, wenn es nicht mit bewußter Absicht geprägt
worden wäre. Die konservative Partei ist die Partei des alten preußischen
Grundbesitzes. Darin besteht ihr Recht und ihre große historische Bedeutung.
Die konservative Partei ist seit Generationen auf das engste mit dem preußischen
Staate verwachsen. Die konservative Partei ist ausgezeichnet durch eine Homo-
genität ihrer Zusammensetzung, die ihr einen einheitlichen politischen Charakter
gibt, wie er in keiner anderen Partei zu finden ist. Das Zentrum ist aus
den verschiedensten Teilen zusammengesetzt. Es gibt bei uns große soziale
und wirtschaftliche Unterschiede zwischen Wählern und Gewählten. Wir
vertreten nicht nur den Grundbesitz, sondern auch das selbstbewußte, auf-
strebende Bürgertum und den Arbeiterstand. Wenn es unter uns Kräfte
des Beharrens gibt, so gibt es andere, die nach vorwärts drängen. Das
Zentrum wird deshalb immer bei Fragen, die das moderne Leben aufwirft,
eine andere Stellung einnehmen als die Konservativen. Noch viel weniger
als von einer Allianz kann von einem Verhältnis der Vorherrschaft oder
Gefolgschaft die Rede sein. Das sind weiter nichts als Schlagworte, mit
denen große Kinder graulich gemacht werden sollen. Es wird niemals so
sein, daß das Zentrum die Konservativen geknechtet vor den Siegeswagen
spannen wird, und das Zentrum wird niemals hinter den preußischen
Junkern herlaufen. (Heiterkeit.) Und nun die Polen: Das Schlimmste ist
die konservativ-klerikal-polnische Allianz! Wir haben nie ein Hehl daraus
gemacht, daß wir Gegner der heutigen Polenpolitik sind. Wir müssen
Europäischer Geschichtskalender. L. 18