290 HNes Veutsee Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 14.)
Auch das ist ihm meisterhaft gelungen. So sagt die „Morning Post“, die
gewiß nicht deutschfreundlich ist, in ihrem Artikel über das Ausscheiden des
Fürsten Bülow aus seinem Amte: „Es ist für die Gegner des Fürsten
Bülow nicht angenehm zu konstatieren, aber es trifft zu, daß Deutschland
niemals so stark und mächtig dagestanden hat wie jetzt.“ Kein beachtens-
werter Gegner des Fürsten Bülow hat dies sein Verdienst je zu bestreiten
versucht. Von alldeutscher Seite ist es ihm oft schwer genug gemacht
worden, gute Beziehungen zu England zu pflegen; in der Marokkoangelegen-
heit haben die Freisinnigen mit ebensoviel Eifer wie Ungeschick seine Kreise
zu stören gesucht. Die ruhige und umsichtige Art des Kanzlers hat fast
immer diese Hindernisse beiseite zu schieben gewußt, so daß seine Führung
unserer auswärtigen Politik auch in stürmischer Zeit im Lande selbst den
Eindruck absoluter Zielsicherheit machte und ihre Erfolge mehr im Aus-
lande als bei den Deutschen selbst Ueberraschung und Staunen hervorriefen.
Man spricht so viel von den ästhetischen Neigungen des Fürsten Bülow,
auch von der Kunst seiner Rede und seiner Geste: ein größerer Künstler
war er, wo er schweigend handelte; da mußte allemal vor dem Resultat
auch die grundsätzlich alles besser wissende Kritik verstummen.“
Die „Germania“ kann dem scheidenden Kanzler nicht vergessen,
daß er das Zentrum in seine Schranken gewiesen hat. Sie schreibt: „Tat-
sächlich war das, was man die Bülowsche Blockpolitik genannt hat, weiter
nichts als Anti-Zentrumspolitik. Die Abneigung gegen das Zentrum allein
hat den Block geschaffen; sie allein hat ihn eine Weile notdürftig zusammen-
gehalten, und wenn die innerlichen Gegensätze der Blockparteien diese ganz
auseinander zu treiben drohten, dann rief Fürst Bülow jedesmal die
drohende Wiederkehr der „Zentrumsherrschaft“ zu Hilfe, und man ver-
suchte wieder, miteinander auszukommen, bis es schließlich doch nicht mehr
ing. Was aber hinter dieser Zentrumsscheu steht, das ist der konfes-
Hiorrile Fanatismus, der furor protestanticus, der Katholikenhaß, wie er
seit Jahrzehnten vom Evangelischen Bunde geschürt wird. Die Hetzereien
der Romfeinde haben den Fürsten Bülow zum 13. Dezember 1906 getrieben.
Der furor protestanticus allein hat ihm die dürftige Blockmehrheit ver-
schafft, die konfessionelle Leidenschaft allein war der Kitt, der den Block
zweieinhalb Jahre gehalten hat.“
Die „Kölnische Volkszeitung“ macht den Fürsten Bülow für
den ganzen Finanzjammer verantwortlich und rechnet ihm vor, daß er in
den neun Jahren seiner Kanzlerschaft 2825 Millionen Reichsschulden ge-
macht habe. „Schlechter als in den neun Jahren seines Regimes gewirt-
schaftet worden ist, kann unmöglich jemals wieder gewirtschaftet werden."“
Der Londoner „Daily Telegraphtl schreibt: „Fürst Bülow tritt
vom Amte zurück, nachdem er mehr als irgend ein anderer, nach Wil-
helm II. selbst, dazu beigetragen hat, die Geschicke des deutschen Staates
durch eine Periode außerordentlicher Schwierigkeiten hindurchzusteuern.
Schweres Unheil hätte hereinbrechen können. Es ist vermieden worden.
Unglück und Niederlagen, die man seit Sedan nicht gekannt, wurden durch-
gemacht, aber wettgemacht. Im gegenwärtigen Augenblicke ist die deutsche
Macht wieder verhältnismäßig so vorherrschend in Europa wie in den
stärksten Phasen der Bismarckschen Regierung. Man mag einwenden, daß
die weisesten Mittel nicht gewählt worden seien, um dieses Ergebnis herbei-
zuführen, daß künftige Sicherheit geopfert wurde, um augenblicklichen Er-
folg zu sichern, als in der Balkankrise das Wort gesprochen wurde, das
die Niederlage der slawischen Sache bedeutete. Das jedoch kann heute
nicht die Tatsache entkräften, daß zur Stunde die Stellung des Deutschen
Reiches in jeder Hinsicht glänzender, gedeihlicher und machtvoller ist als