Das Dentshe Rei uur seine rinelnen Glieder. (Januar 18.) 15
Die Aenderungen der Ersten Kammer wollen, daß bei der Zuertei-
lung der Pluralstimmen die Ingenieure, Techniker, Apotheker, überhaupt
die Angehörigen der freien wissenschaftlichen Berufe mit abgeschlossener Bil-
dung den Juristen, Aerzten und Geistlichen gleichgestellt werden. Neben
der Grundstimme erhalten sie drei Zusatzstimmen, ebenso die Wähler mit
mindestens 2800 Mark Einkommen, die größern Grundbesitzer, die Gärtnerei-
besitzer und solche über 50 Jahre alten Wähler, die sonst nur zwei Zu-
satzstimmen erhielten. Zwei Zusatzstimmen erhalten alle Wähler mit
mindestens 2200 Mark Einkommen, Beamte, Wähler zum Landeskulturrat
und zur Gewerbekammer mit 1900 Mark Einkommen, alle mittlern land-
wirtschaftlichen und gärtnerischen Besitzer, alle Besitzer des einjährigen oder
eines gleichwertigen Zeugnisses und alle 50 Jahre alten Wähler, die sonst
nur zwei Stimmen erhalten würden. Alle Wähler mit wenigstens 1600
Mark Einkommen, alle Beamten, Wähler zum Landeskulturrat und Ge-
werbekammern mit 1400 Mark Einkommen, alle kleinen landwirtschaftlichen
und gärtnerischen Besitzer, alle über 50 Jahre alten Wähler, die sonst nur
die Grundstimmen erhalten würden, erhalten eine Zusatzstimme. Die
Grundstimme erhalten alle Reichstagswahlberechtigten der sächsischen Staats-
angehörigen. Das Gesetz sieht die direkte Wahl und eine sechsjährige
Integralerneuerung vor. Es tritt am 1. August in Kraft.
18. Januar. (Reichstag.) Interpellation über den Prozeß
gegen den Fürsten Eulenburg.
Staatssekretär Nieberding erklärt: Er sei mit der preußischen
Regierung darüber vollkommen einig, daß in jedem Prozeß alle Rück-
sichten, die das Gesetz gestattet, auf die Angeklagten genommen werden
müßten. Im Prozeß Eulenburg sei davon nicht abgewichen worden. Es
sei eher zu wenig als zu viel Rücksicht genommen worden, vielleicht gerade
um einen falschen Anschein zu vermeiden. Man habe das Verfahren fort-
esetzt, bis die unabhängigen Aerzte der Charité gesagt haben, daß eine
Hortsetung das Leben des Angeklagten gefährde. So liege der Fall. Es
würden übrigens abermals höhere Aerzte befragt; sollten diese zum Er-
gebnis kommen, daß jett der Gesundheitszustand Eulenburgs sich gebessert
hat, dann werde dem Rechte ohne Zögern Genüge geschehen.
18. Januar. (Reichstag.) Beratung des Justizetats.
18. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Etats-
beratung.
18. Januar. (Berlin.) Der franzöfische Abgeordnete Joseph
Chailley hält einen von der Deutschen Kolonialgesellschaft ver-
anstalteten Vortrag über „Frankreich und seine Eingeborenenpolitik“.
. Der Redner besprach die beiden von Frankreich im Lauf der Ge-
schichte angewandten Kolonisierungsverfahren. Das ältere, das er als
das System der Gleichstellung (Systeme d'Assimilation) bezeichnete, gehe
von dem Grundsatze aus, daß alle Menschen gleich seien und dieselben
Rechte haben. Dieses System könnte gut sein, wenn die Zahl der Ein-
geborenen beschränkt sei; es könne aber gefährlich werden, wenn die Zahl
der Eingeborenen die Einwohnerzahl des Mutterlandes erreiche oder gar
überschreite. Das zweite Verfahren, das der Redner das System der Ge-
meinschaft (Systeme d’Association) nannte, bestehe darin, die Eingeborenen
zu erziehen und ihnen nach und nach unsere Ideen zugänglich zu machen.
Der Redner rühmte sodann das von Richelien angewandte Kolonisierungs-