Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

336 Das Denisthe Reit und seine einzelnen Glieder. (November 16.) 
12. November. (Berlin.) Die Konservative Vereinigung 
erläßt einen Aufruf an konservative Männer in Stadt und Land. 
Darin heißt es: „Besonders in der letzten Zeit haben unsere Führer 
die Partei in eine äußerst schwierige Lage gebracht. Die zahlreichen, den 
Mittelstand und die Arbeiter schwer belastenden indirekten Steuern bei 
der Reichsfinanzreform haben keinen gerechten Ausgleich durch eine direkte 
Besteuerung des Besitzes erhalten. Die Erbanfallsteuer in der von der 
Regierung vorgeschlagenen Form wäre geeignet gewesen, einen gewissen 
Ausgleich hierfür zu schaffen. Wir fordern von unseren Führern, daß sie 
diese Fehler beseitigen. Unsere Führer haben aber — und das ist der 
schwerste Vorwurf, den wir gegen sie erheben müssen — durch ihre Gegner- 
schaft gegen die Forderungen der Regierung Anschluß bei dem Zentrum 
und bei den Polen gefunden und das größte Werk des Fürsten Bülow, 
den Zusammenschluß aller bürgerlichen Parteien zu gemeinsamer Arbeit 
für das Reich, zu gemeinsamem Kampfe gegen das antinationale Zentrum 
und gegen die internationale Sozialdemokratie, zunichte gemacht. Sie 
haben dem Zentrum zu einer Stellung verholfen, die es für alle Zeiten 
verloren zu haben schien, und werden ihm für seine Dienste den Tribut 
zahlen müssen, während das Zentrum nach wie vor bei den Wahlen die 
Geschäfte der Sozialdemokratie besorgen wird. Unsere Führer haben durch 
Preisgabe des Blockgedankens den Weg verlassen, auf dem allein eine 
erfolgreiche Bekämpfung der Sozialdemokratie möglich war. Sie haben 
wirtschaftliche Interessen dem großen nationalen Einheitsgedanken voran- 
gestellt, in dem die bürgerlichen Parteien mit dem Erfolge der Begeisterung 
im Januar 1907 in den Kampf zogen. Sie haben dadurch das Verbleiben 
des Fürsten Bülow, unseres größten Kanzlers seit Bismarck, unmöglich 
gemacht und haben durch alle diese Fehler eine Verdrossenheit in konser- 
vativen Kreisen hervorgerufen, wie sie in der Geschichte unserer Partei 
bisher noch nicht vorhanden gewesen ist. Aber wir verlieren den Mut 
nicht. Die Gefahr, in der die Partei steht, wird überwunden werden, 
wenn wir die gemachten Fehler aufdecken und den von vielen Tausenden 
treuer konservativen Männer gebilligten Forderungen zur Anerkennung 
verhelfen. Mehr Fühlung mit dem Volke! Unabhängigkeit gegenüber dem 
Bunde der Landwirte! Ausgleich zwischen Stadt und Land! Los vom 
Frntrum Zurück zum alten Blockgedanken gegen die Sozialdemokratie! 
ann wird die konservative Partei es uns danken, daß wir in schwerer 
Zeit die Männer gesammelt haben, die sich von der Partei trennen wollten 
und daß wir die Grundsätze vertreten haben, die allein die Fortdauer 
einer großen konservativen Partei gewährleisten."“ 
15. November. (Preußen.) Landtagsersatzwahl im Wahl- 
kreis Fraustadt-Lissa-Rawitsch-Gostyn. 
v. Kardorff (freikons.) erhält 344, Propst Dr. v. Jazdzewski (Pole) 
230 Stimmen. 
15. November. (Kiel.) Der Kaiser wohnt der Vereidigung 
der Marinerekruten der Ostseestation, der Hochseeflotte und der 
Reserveflotte bei und macht eine Fahrt auf dem Linienschiff „Nassau“. 
Mitte November. (Berlin.) In den Ausstellungshallen 
am Zoologischen Garten wird das Modell eines Einschienenwagens 
nach dem System Scherl vorgeführt.
	        
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