358 Das Denisthe Reithh und seine einzelnen Glieder. (Dezember 9.)
Zweifellos wollen wir alle den Schutz unserer wirtschaftlichen Interessen
in Marokko gewahrt haben, aber wir wünschen doch niemals, daß dieser
Schutz uns in politische Verwickelungen hineinziehe, die mit den wirtschaft-
lichen Interessen nicht im rechten Verhältnis stehen. Wir haben es begrüßt,
als das Abkommen vom Februar jeden Anlaß zur Verstimmung zwischen
den beiden benachbarten Nationen beseitigte. Wir freuen uns auch, daß
das Abkommen in dem Geiste durchgeführt wird, in dem es abgeschlossen
worden ist. Wenn uns ein energisches Einschreiten gefährlich erschien, so
hatte das auch einen anderen Grund. In keinem Falle durfte der Ein-
druck erweckt werden, als ob das Deutsche Reich die Schutzmacht des Islam
sei. Das würde nicht nur im kulturellen Interesse zurückzuweisen sein,
sondern das würde auch für uns in Afrika eine Gefahr sein. Es steht
uns die Regelung der finanziellen Angelegenheiten in Marokko bevor und
wir hoffen, daß ß. bald Erfolg haben wird, damit auch die Ersatzansprüche
aus der Casablanca-Angelegenheit befriedigt werden können. Es würde
auch zu begrüßen sein, wenn sich finanzielle oder wirtschaftliche Operationen
ergeben könnten. In bescheidenem Umfange sollten sich Interessengebiete
finden lassen, auf denen beide Nationen sich gemeinsam betätigen könnten.
Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, können auch die
Erinnerung an die Vergangenheit nicht auslöschen, erwarten aber, daß
eine konsequente Friedenspolitik im Laufe der Jahre das freundschaftliche
Verhältnis der beiden Nachbarnationen beeinflussen und versöhnend wirken
möge. Es dürften dabei allerdings störende Zwischenfälle nicht vorkommen,
wie wir sie in der letzten Zeit erlebt haben. Die Ausbrüche des Chauvinis-
mus müssen zurückgehalten werden. Zustimmung wird sicherlich auch die
Erwähnung in der Thronrede finden, daß der Dreibund nun schon über
ein Menschenalter besteht. Der Dreibund hat die einzelnen Vertrag-
schließenden nicht in größere Abhängigkeit gebracht, als es mit den Einzel-
interessen verträglich ist. Mit Oesterreich unterhalten wir lebhafte freund-
schaftliche Beziehungen. Vor einem Jahre schien es noch, als wäre der
Frieden gefährdet. Aber an dem Tage wo es feststand, daß hinter Oester-
reich das Deutsche Reich stand, da war die Kriegsgefahr beseitigt. Erfreulich
ist dabei auch hervorgetreten, daß sich Oesterreich in seiner Armee eine
Waffe allerersten Ranges geschaffen hat. Gegenüber einer solchen ver-
einigten Macht wird auch eine vielseitige Koalition nicht leicht zu unüber-
legten Schritten schreiten. In Italien ist in diesen Tagen eine Minister-
krise ausgebrochen. Aber ich hoffe, wir dürfen uns der Erwartung hingeben,
daß auch das demnächstige Ministerium in der auswärtigen Politik der
Tradition seiner Vorgänger folgen werde. In der festen Zuversicht, daß
der Frieden erhalten wird, kann uns auch der Besuch in Racconigi nicht
beunruhigen. Die Sympathien der Herrscher werden nur zu Machtfaktoren,
wenn sie den Interessen der beiden Völker entsprechen. Auch auf dem
Balkan ist noch nicht eine volle Beruhigung eingetreten, aber ich glaube,
es kann niemand ein Interesse daran haben, den glimmenden Funken
wieder neu anzufachen. Ich kann nicht glauben, daß es ein vitales Inter-
esse für Italien, Rußland und England wäre, eine feindliche Spitze wegen
der Balkanfrage gegen Deutschland zu richten.
Unser Verhältnis zu England ist vielfach besprochen worden. Wir
haben unsere freundschaftlichen Gesinnungen zum britischen Reiche zum
Ausdruck gebracht, so daß es heute keines weiteren Wortes bedarf. Die
englische Presse ist ihrer unfreundlichen Stimmung gegenüber Deutschland
treu geblieben. Aber es ist zu sagen, daß man gegen Papier und Drucker-
schwärze keinen Krieg führt. Weiter ist aber zu sagen, daß man keine
Liebe erzwingen soll, wo man sie nicht mag. Aus unserer friedliebenden