Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Veensche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 9.) 363 
getreten ist und daß man endlich zu der Ueberzeugung kommt, daß die 
Ziele unserer Politik durchaus friedliche sind. Ueber das Maß der 
Rüstungen werden wir allerdings sehr schwer eine Vereinbarung treffen 
können, weil die Verhältnisse in den einzelnen Nationen zu verschieden 
sind. Diese Verträge könnten sehr leicht zu Streitigkeiten führen, weil 
man sich über die Auslegung nicht verständigen könnte. Es ist selbst- 
verständlich, daß wir England gegenüber keine Politik der Verärgerung 
treiben werden. Auf der anderen Seite müssen wir aber wünschen, daß 
dort, wo deutsche Interessen in Frage kommen, unser Auswärtiges Amt 
die deutschen Interessen mit vollem Nachdruck vertritt. (Sehr richtig! bei 
den Nationalliberalen.) Die Kongofrage scheint ja in diese Vereinbarung 
kommen zu sollen. Es wird daher nötig sein, die Handelsfreiheit am 
Kongo zu gewährleisten. Wie steht es mit der Kongogrenzregulierung? 
Es sind Befürchtungen laut geworden, daß es hier gehen könne wie im 
Sansibarvertrag. Uns wäre es lieb, wenn uns der Reichskanzler darüber 
Auskunft geben könnte. Es fragt sich, ob beim Etat des Auswärligen 
Amtes nicht zuviel gespart worden ist. Die Anforderungen sind gestiegen 
und deshalb wäre es wohl auch richtiger gewesen, die staatlichen Beamten 
zu vermehren. In der französischen Presse ist der Passus in der Thron- 
rede freudig begrüßt worden, der von dem Marokko-Abkommen handelt. 
In der deutschen Presse ist das nicht in dem Maße der Fall gewesen. Es 
sollte uns die wirtschaftliche Freiheit in Marokko garantiert werden. Aber 
es werden doch Klagen laut, daß unsere deutschen Interessen nicht genug 
gewahrt werden. Der Herr Reichskanzler wird sich auch über diese Fragen 
äußern müssen. Noch ein paar Worte über die Vorgänge in Weißenburg. 
Wir wollen es nicht unseren westlichen Nachbarn versagen, an Festen auf 
deutschem Gebiet teilzunehmen. Aber unter dem Deckmantel der Pietät 
dürften doch nicht Massendemonstrationen stattfinden. Es muß in Zukunft 
genau vorgeschrieben werden, in welchem Rahmen sich die Feiern vollziehen. 
Auch wir freuen uns, daß der Dreibund eine solche Länge von Jahren 
angedauert hat. Aber ich muß dabei sagen, daß die Begegnung in Racconigi 
arge Mißstimmung in Oesterreich und auch bei uns hervorgerufen hat. 
Aber im großen und ganzen werden die Monarchenbegegnungen keinen 
großen Einfluß auf die Politik mehr haben. Da sind andere Faktoren 
maßgebend, und der Dreibund wird gerade auch im Interesse Italiens 
liegen. In der Presse sind die Reden des Botschafters Grafen Bernstorff 
sehr lebhaft besprochen worden. Er hat gesagt, daß wir keine Landerwei- 
terung anstreben, sondern Friedenspolitik treiben wollten. Es ist gewiß 
dankenswert, wenn gegenüber den Verdächtigungen in der Auslandspresse 
aufklärend gewirkt wird über die Ziele der deutschen Politik. Bedauerlich 
ist aber die Bemerkung bezüglich der Alldeutschen. Die alldeutschen Be- 
strebungen sind gewiß nicht nach dem Geschmack aller in diesem Hause. 
Aber von ihnen muß man doch sagen, daß sie lediglich das Wohl Deutsch- 
lands verfolgen. Wir möchten daher wünschen, daß derartige Aeußerungen 
von Botschaftern in Zukunft unterblieben. An dem Flottengesetz, das wir 
bewilligt haben, wollen wir nicht rütteln lassen und ich möchte darüber 
einige Worte hören, weil hier verlautbart worden ist, man wolle die 
Rüstungen einschränken. In der Thronrede ist sehr ausführlich über unsere 
deutsche Kolonialpolitik gesprochen worden. Das zeigt uns, daß unsere 
Kolonialpolitik an einem günstigen Wendepunkt angekommen ist. Wir 
erkennen die Tätigkeit des Staatssekretärs Dernburg wohl an. (Zustimmung 
links.) Der Reichszuschuß zu unseren Kolonien ist erheblich zurückgegangen. 
Es ist auch gelungen, durchweg die Einnahmen in unseren Schutzgebieten 
zum Teil wesentlich zu erhöhen. Die Kosten der Zivilverwaltungen in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.