Das Veutsche Reic und seine einzelnen Glieder. (Dezember 12.) 387
seien die Strömungen, die eine Trennung von Kirche und Staat anstrebten,
Strömungen, die identisch seien mit dem Jakobinertum der französischen
Revolution. Die Anhänger dieser Bestrebungen, insbesondere die Sozial-
demokratie, wollten nicht nur selbst frei von jeder Kirche und jedem Dogma
leben, sondern auch andere verhindern, nach ihrer Fasson, nach der christ-
lichen, selig zu werden. Was den christlichen Konfessionen gemeinsam sei,
das solle in den Vordergrund gestellt werden, dagegen sehe er (Redner)
sehr selten oder nie einen berechtigten Grund, das Trennende der Kon-
fessionen öffentlich zu behandeln. Vor allen Dingen sei das Dasein be-
sonderer konfessioneller Parteien unberechtigt. Das Zentrum sei ohne
Zweifel eine solche konfessionelle Partei. Das Bestreiten dieses konfessio-
nellen Charakters durch die Partei der Kölnischen Volkszeitung sei nutzlos,
weil den Taten der Partei widersprechend. Der Ausspruch Bitters, daß
jede Wahlkampagne des Zentrums, die nicht durch den katholischen Klerus
geführt werde, verloren sei, würde allein genügen, das Abstreiten fruchtlos
zu machen. An ein „Verduften“ des Zentrums im Puttkamerschen Sinne
sei wohl niemals zu denken; aber ein „Ueberleiten“ der Partei sei viel-
leicht zu erhoffen. Die Deutsche Vereinigung bekämpfe im Zentrum den
konfessionellen Chauvinismus, die Verneinung der wirklichen Parität. Es
müsse zum Gemeingut des Volkes werden, daß in Deutschland die Macht-
politik der Konfession keinen Raum haben dürfe.
Professor Hoetzsch-Posen behandelt das Thema: Das Wesen der
preußischen Polenfrage im Zusammenhang der gesamtpolnischen Be-
wegung und die Aufgaben und Ziele einer preußischen Ostmarkenpolitik.
Nach ausgedehnten historischen Erörterungen geht der Redner dazu über,
die preußische Ostmarkenpolitik, insbesondere die Enteignungsgesetzgebung
Bülows, als für das Deutschtum notwendig, zu verteidigen. Nebenbei
bemerkte der Redner, daß das Enteignungsverfahren bisher noch in keinem
Falle angewendet worden sei, daß die Ansiedlungskommission aber nicht
lange mehr an der Notwendigkeit, das Verfahren anzuwenden, vorbei-
kommen werde. Der Ritt der Zentrumspartei in das polnische Gebiet
vom vorigen Jahre habe eine Verbitterung und Verschärfung des Kampfes
und eine Schädigung der nationalen Sache gebracht. Eine direkte Folge
des Bündnisses des Zentrums mit den Polen sei das Eindringen der Polen
in die Stadtverwaltungen und ein Niederdrücken der deutschen Katholiken
in den Ostprovinzen gewesen. Die Stellungnahme der Regierung in der
Kattowitzer Stadtverordnetenwahl sei gerechtfertigt; denn wenn die Re-
gierung sich auf ihre Beamten nicht mehr verlassen könne, möge sie ihre
Ostmarkenpolitik ruhig einstellen. Die Hoffnungen des polnischen Volkes
auf Wiederherstellung des Polenstaates seien in der Volksseele keineswegs
aufgegeben. Die Frage, ob mit den riesigen Geldopfern nun in der Ost-
mark für das nationale deutsche Interesse etwas gewonnen werde, sei un-
bedingt zu bejahen, wenn man als das Endziel im Auge habe, daß auf
jeden polnischen Rekruten ein deutscher Rekrut komme. Das Ziel sei also-
eine solche Verschiebung der Bevölkerungszahl zugunsten der Deutschen,
daß das Wort Bismarcks erfüllt werde, an der Ostgrenze müsse der preu-
ßhische Staat zuverlässige Leute haben.
12. Dezember. (Godesberg a. Rh.) Staatsmin. Dr. Holle
im Alter von 54 Jahren.
Er war preußischer Kultusminister als Nachfolger Dr. Studts vom
Juni 1907 bis 14. Juli 1909. Im Oktober 1908 trat er wegen Bronchial-
katarrh einen Urlaub an, der immer wieder erneuert wurde und schließlich
zehn Monate währte.
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