390 N# Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13.)
Abg. Schrader (fri. Bgg.): Den Anschauungen des Reichskanzlers
über die Vorgänge in Elsaß-Lothringen können wir uns nur anschließen.
Der Reichskanzler hat von einer Politik der Stetigkeit gesprochen. Damit
sind die Konservativen natürlich zufrieden, denn das ist ihre Politik. Gerade
deshalb ist ja Fürst Bülow gestürzt worden, weil er eine Politik des Fort-
schritts wenigstens versucht hat. Mit den Grundsätzen des neuen Schatz-
sekretärs Wermuth sind wir einverstanden. Aber er wird noch manchen
Tropfen Wermuhh schlucken müssen. (Heiterkeit.) Die Ausgaben für Heer
und Marine steigen fortwährend, und infolgedessen werden die Reichs--,
die Staats= und die Kommunalsteuern immer mehr und mehr erhöht.
Es wird sich fragen, ob wir das auf die Dauer vertragen können, und
ob nicht nur unsere Kulturaufgaben darunter leiden. Es ist der ernste
Wille, größere Sparsamkeit zu betätigen, unbedingt erforderlich, und diesen
Willen haben wir. (Zustimmung links.) Die Würde des Reichstages muß
in höherem Maße als bisher gewahrt werden. Wir wünschen, daß die
Eröffnung des Reichstages hier im Hause stattfindet, und daß die Feier
eine Feier des Reichstages ist. (Beifall links.)
Abg. v. Putlitz (kons.) protestiert gegen die Verunglimpfung der
preußischen Könige durch den Abgeordneten Scheidemann. Es sei unerhört,
daß dergleichen strafbare Majestätsbeleidigungen (großer Lärm bei den
Sozialdemokraten) im Reichstag möglich seien. (Lebhaftes Bravo rechts,
Zuruf bei den Sozialdemokraten: Historische Wahrheiten! Lebhafte Unruhe
und Pfui-Rufe rechts.) Redner wendet sich dann gegen die Behauptung,
daß die Finanzreform den Forderungen der sozialen Gerechtigkeit nicht
entspreche und gegen die zunehmenden Versuche, den einen Einzelstaat
gegen den andern abzusperren und in dem einen gegen den andern zu
agitieren. Der Parlamentarismus, wie er in anderen Ländern herrscht,
mit seinen Intrigen und seiner Aufwühlung der politischen Leidenschaften,
könne uns nicht zum Vorbild dienen. Er vertrage sich auch nicht mit der
Stellung der Krone bei uns. Zwischen der sozialdemokratischen und der
bürgerlichen Weltanschauung herrsche ein Widerspruch, der nicht zu über-
brücken sei. Bei dem Ausbau der Versicherungsgesetzgebung wollen wir
mitarbeiten. Wir werden dabei prüfen, ob die Industrie und das Hand-
werk die neuen Lasten tragen können. Dann wollen wir aber andererseits
auch zusehen, wie wir unsere ländlichen Arbeiter teilhaben lassen können
an den Wohltaten der Versicherung. Aber wie gesagt, wir wollen mit-
arbeiten, denn wir Konservativen wollen den Fortschritt. Nun, ich glaube,
im letzten Jahrhundert haben wir etwas erreicht. Wir wollen arbeiten
und zwar mit jedem, der sich daran beteiligt. Auch den Liberalismus
wollen wir nicht ausschalten. Aber wir wollen Gleichberechtigung. Gleich-
berechtigung ist es aber nicht, wenn in liberalen Blättern immer gesagt
wird, die Reaktion müsse beseitigt werden. Man will uns zertrümmern.
(Sehr richtig! links.) In den letzten Jahren haben Konservative und
Liberale sehr häufig zum Wohl des Vaterlandes zusammengearbeitet. Wenn
etwas erreicht worden ist, so ist es auch diesem Zusammenarbeiten zu
danken. In der jetzigen Verbitterung möchte ich feststellen, daß uns
Deutsche die Geschichte in dem letzten Jahrzehnt begnadigt hat wie kein
anderes Volk. Wir sind in den Sattel gesetzt worden, wir haben ein
gutes Pferd, und es wird nun daran liegen, daß es gut geritten wird.
(Beifall rechts.)
Abg. Frank--Mannheim (Soz.): Wir hätten Auskunft gewünscht
darüber, wann endlich die deutsche Regierung in Verbindung tritt mit den
erhabenen Herrschern des chinesischen Reiches, damit uns Kiautschou ab-
genommen wird und damit uns die Summen herausgezahlt werden, die