Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Denisqe Reiq und seine einjelnen GSlieder. (Dezember 13.) 391 
wir dort angelegt haben. Wir könnten damit eine Witwen- und Waisen- 
versicherung einführen. Wir möchten weiter wissen, ob die Garantien fort- 
wirken, die sein Vorgänger aus Potsdam mitgebracht hat. Dabei wird 
allerdings der neue Reichskanzler den Namen des Fürsten Bülow einmal 
in den Mund nehmen müssen. Er wird auch sonst nicht drum herum 
können. Wir verlangen ja gar nicht, daß er ein Loblied auf seinen Vor- 
gänger singt. Wir hätten weiter gewünscht, daß uns Auskunft gegeben 
würde, warum bei Reisen des Kaisers Schnellzüge ausfallen und das freie 
deutsche Volk in die Wartesäle eingesperrt wird, was sonst nur bei Reisen 
des russischen Kaisers geschieht. Wie steht es weiter mit der Entschädigung 
der arbeitslos gewordenen Tabakarbeiter? Warum hat man die Veteranen- 
beihilfe nicht in Wirkung treten lassen? Das Weglassen des Datums ist 
doch kein Grund dafür, daß das Gesetz nicht in Kraft tritt. Der Reichs- 
kanzler hat weiter geschwiegen darüber, daß die staatsbürgerlichen Rechte 
der Beamten nicht gewahrt werden. Die Autorität des Staates ist nie 
mehr erschüttert worden als dadurch, daß man die Beamten herabdrückt 
zu einer Prätorianergarde des Absolutismus. Der Reichskanzler hat uns 
auch keine Auskunft gegeben, warum er als Moajor bei der Eröffnungs- 
feier erschienen ist. Mit einer Handbewegung ist das nicht abgetan. Er 
hätte es sich aber leicht machen können und hätte sagen können: Der 
Professor Wenckstern habe auch die Festrede bei einer Denkmalseinweihung 
mit Schärpe und Schuppenkette angetan gehalten. Das Auftreten des 
Reichskanzlers zeigt, wie sehr der Miltärstaat bei uns noch in Geltung 
ist. In Dänemark hat der Minister Zahle anders gehandelt. Er hat es 
abgelehnt, in Uniform zu erscheinen und den Exzellenzentitel zu tragen. 
Bei uns dagegen machen Bankdirektoren die Uebernahme eines Reichs- 
amtes davon abhängig, daß sie den Exzellenzentitel bekommen. Die Be- 
schwerde des Abgeordneten Wiemer über die militärische Uniform des 
Reichskanzlers wäre vielleicht wirksamer gewesen, wenn nicht auch in der 
Blockzeit sich viele freisinnige Knopflöcher sehnsüchtig geöffnet hätten. (Große 
Heiterkeit.) ... Aus dem Schweigen des Reichskanzlers wird das deutsche 
Volk seine Schlüsse ziehen, namentlich daraus, daß er nichts über die 
preußische Wahlrechtsreform gesagt hat. Das zeigt, daß die preußischen 
Junker wieder einmal ihren Willen durchgesetzt haben. Der Reichskanzler 
hat uns an Stelle einer klaren Antwort über seine Zukunftspläne nebelhafte 
Worte vorgetragen. Er hat von einem Zwang zum Schaffen gesprochen, 
aber wir müssen fragen: Wer zwingt und für wen wird Ichaßen Und 
da müssen wir sagen: Unter dem Zwang der Junker schaften die Bureau- 
kraten für die Junker. 
Abg. Fehrenbach (Ztr.): Herr Frank hat über das Wahlbündnis 
im Dom zu Speyer gesprochen. Nun, ich berufe mich auf ein Mitglied 
hier in diesem Hause, das mir gesagt hat, daß das Bündnis nicht an einem 
heiligen Orte abgeschlossen worden ist, sondern es ist eingeleitet worden in 
München und vollendet worden in einer Weinwirtschaft zu Speyer. Dieses 
Bündnis wurde damals nur abgeschlossen zur Erreichung eines bestimmten 
Zwecks. In Baden hat die Sozialdemokratie bedauerlicherweise sehr stark 
zugenommen und zwar, wie ich zugebe, der Reichsfinanzreform wegen. 
ber es ist sehr leicht, eine deutsche Finanzreform schlecht zu machen, und 
die Sozialdemokratie hat das Menschenmöglichste getan, um die Finanz- 
reform schlecht zu machen. Aber die Nationalliberalen haben ihnen noch 
den Rang abgelaufen. (Sehr richtig! im Zentrum und Lachen links.) Was 
an Unwahrheit, an Verdrehungen und Verhetzungen möglich war, ist von 
den Liberalen geleistet worden. Die Reichsfinanzreform ist als Platzmar- 
kierungsfeldzug benutzt worden gegen das Zentrum und dieser Feldzug
	        
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