Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

26 Das Veesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 
bis 3000 Mark, so daß zwei Millionen Köpfe übrig bleiben, die nicht 
weniger als 66 Prozent der Gesamteinkommensteuer zahlen. Zu dieser 
Leistung für den Staat kommen noch sehr erhebliche Kommunallasten 
hinzu, die die staatlichen Steuern erheblich überwiegen. Daß der Zoll- 
tarif eine ungünstige Einwirkung auf die Lebenshaltung der Arbeiter 
ausgeübt hat, bestreite ich. (Sehr wahr! rechts, Widerspruch der Sozial- 
demokraten.) Ich bestreite, daß die Preise maßgebend beeinflußt werden 
von dem 5 Mark-Zoll, denn wir haben früher höhere Getreidepreise ge- 
habt. Der Preis für Getreide wird nach den Regeln von Angebot und 
Nachfrage bestimmt. Aber selbst zugegeben, daß der Zoll eine gewisse 
Preissteigerung oder Preishaltung ausgeübt hat, so frage ich: was ist 
wichtiger, ein etwas höherer Getreidepreis oder ein sicherer und aus- 
reichender Lohn für die Arbeiter? (Lebhafte Zustimmung.) Fürst Bismarck 
hat einmal gesagt: wenn allein die Niedrigkeit der Getreidepreise in Be- 
tracht käme, dann wäre Slavonien das glücklichste Land der Erde. (Leb- 
hafte Zustimmung rechts, Lachen der Sozialdemokraten.) Wandern Sie 
doch dorthin aus, wenn es Ihnen nicht paßt. (Stürmische Heiterkeit.) 
Wenn wir die Schutzzollpolitik nicht eingeführt hätten, wo wäre unsere 
Industrie geblieben und die Arbeiterbataillone, die jetzt in der Industrie 
beschäftigt werden, und wo wäre die Landwirtschaft geblieben, wenn wir 
nicht dem verderblichen Preisrückhalt Einhalt getan hätten? Ich freue 
mich, daß die Landarbeiterschaft bisher Ihren Versuchen, sie in Ihr Lager 
hinüberzuziehen, Widerstand geleistet hat, und hoffe, daß sie das auch 
weiter tun wird. (Lebhafte Zustimmung rechts und in der Mitte.) Nie- 
mand kann bestreiten, daß sich unter dem Einfluß des Zolltarifs die Lebens- 
haltung der deutschen Arbeiter erheblich gebessert hat. 
Die Ausgaben für Löhne bei der Eisenbahnverwaltung be- 
trugen im Jahre 1895 etwa 138 Millionen Mark, im Jahre 1907 aber 
326 Millionen. Bezüglich der Durchschnittslöhne ergibt sich, daß sie 
in diesen Jahren um nicht weniger als 33,6 Prozent gestiegen sind. 
(Hört, hört! rechts.) Das zutreffendste Bild erhalten wir aus den Unter- 
lagen der Unfallversicherung. Danach wurden im Jahre 1893 an Löhnen 
3 Milliarden 366 Millionen gezahlt, im Jahre 1906 aber 7 Milliarden 
760 Millionen. Der Durchschnittslohn betrug im Jahre 1893 rund 671 Mark, 
im Jahre 1906 aber 894 Mark. Das ist eine Steigerung um 37 Prozent. 
Auch der Sozialdemokrat Calwer hat diese Lohnsteigerung unumwunden 
anerkannt. Das beste Barometer in dieser Beziehung sind aber immer 
die Steuerlisten. Im Jahre 1895 hatten noch 68 Prozent der Bevölkerung 
kein steuerpflichtiges Einkommen, im Jahre 1907 aber nur noch 50 Prozent. 
Stetig ist die Zahl der Arbeiter gestiegen, deren Einkommen so hoch ge- 
wachsen ist, daß es versteuert werden muß. Ein Einkommen von 900 bis 
3000 Mark — das trifft also überwiegend arbeitende Stände — hatten 
im Jahre 1895 rund 27 Prozent, im Jahre 1907 aber 34 Prozent. Im 
Jahre 1895 waren rund 8 Millionen Köpfe unserer Bevölkerung ein- 
kommensteuerpflichtig, im Jahre 1907 aber 14 bis 15 Millionen. Diese 
Zahlen schlagen der Behauptung von der Verelendung der Massen 
geradezu ins Gesicht. (Beifall rechts.) Diese Bemerkungen genügen, zu 
einer politischen Rede lag kein Anlaß vor. (Sehr richtig! rechts.) Die 
Regierung stützt sich nicht auf die besitzenden Klassen, wohl aber auf die 
staaterhaltenden Kreise. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) 
Wir betrachten uns als den geschäftsführenden Ausschuß der staaterhalten- 
den Klassen, und als solcher werden wir in dem Kampfe gegen die Sozial- 
demokratie nicht erlahmen. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte. 
Lachen der Sozialdemokraten.)
	        
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