Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Pie Sterreichischungarische Monarchie. (Februar 27.—März 3.) 417 
verfehlt, dagegen wirken sie in Belgrad wie die Aufhebung dort erteilter 
Mahnung, Ruhe zu halten. Offenbar gelten dort die Pariser und Londoner 
Aeußerungen als Iswolskis wahre Meinung, weshalb man seine Mahnung 
in den Wind schlage, wie auch der bekannte Samo Uprawa--Artikel zeige, 
und weiter auf den russischen Beistand rechne. Iswolski trage also neben 
der unheilbaren Verblendung der Serben, die sich für den Kriegsfall immer 
noch den Ausbruch von slawischen Aufständen und Truppenmeutereien 
in Oesterreich-Ungarn und Bosnien vorspiegeln, die Verantwortung, wenn 
es doch zu Feindseligkeiten kommen sollte. 
In Bezug auf die Aufforderung auswärtiger Blätter, Oesterreich- 
Ungarn möge wirtschaftliche Entschädigungen für Serbien bekanntgeben, 
wird im „Budapesti Hirlap“ der Standpunkt des Ministeriums des Aus- 
wärtigen dahin gekennzeichnet, daß von ihnen nur die Rede sein könne, 
wenn Serbien auf territoriale Ansprüche verzichte. Wirtschaftliche Ent- 
schädigungen würden derzeit keinen Eindruck machen und die Lage gar 
nicht verbessern. 
Nach Erledigung der serbischen Ministerkrise kennzeichnet die Wiener 
Presse das neue serbische Koalitionskabinett als ein gegen Oesterreich= Ungarn 
gebildetes Kampf- und Trutzministerium. Dieser Charakter ergebe sich be- 
sonders aus der Berufung Nowakowitschs und Milowanowitschs. Sie hätten 
seinerzeit die Oesterreich--Ungarn feindlichen Beschlüsse der Skupschtina in 
Reden begründet, die serbische äußere Politik in die jetzigen Bahnen ge- 
lenkt, und wären außerdem die Verfasser der letzten Denkschrift, welche 
die serbischen Ansprüche im Sinne jener Beschlüsse darlegen solle. Eine 
Korrespondenz meldet aus Agram, in einigen Teilen Kroatiens seien Um- 
triebe serbischer Wühler festgestellt, die zur Einleitung von Untersuchungen 
gegen einheimische Serben Anlaß gegeben hätten. Nach Bosnisch-Gradisca 
seien in Serbien hergestellte Bomben gebracht worden und ein Buchhalter 
wegen der Drohung, er würde einen Anschlag auf den Banus Rauch 
verüben, verhaftet worden. 
27. Februar. Das Zustandekommen des Konstantinopeler 
Entente-Protokolls (s. Türkei 26. Februar) wird in der ge- 
samten Wiener Presse als ein wichtiger Merkstein in der Geschichte 
der orientalischen Wirren begrüßt. 
Das „Tagblatt“ feiert als entscheidende Faktoren für diese glückliche 
Gestaltung die unerschütterliche Festigkeit, womit sich die deutsche Politik 
auf die Seite des Donaureichs gestellt und dadurch einen Block geschmiedet 
habe, so hart wie Stahl, so wuchtig und gefährlich für jeden Angreifer, 
daß die Besonnenheit es gewiß nicht schwer gehabt habe, sich gegen lockende 
Werbungen siegreich durchzusetzen. 
28. Februar. (Prag.) Neuerliche Studentenunruhen. 
Bei dem Sonntagsbummel der deutsch-nationalen und deutsch- 
katholischen Couleurstudenten kam es auf dem Wenzelsplatze wieder zu 
Störungen durch die Tschechisch-Nationalliberalen, die sich dann auch gegen 
Sozialdemokraten wandten, die aus einer Versammlung kamen. Die Polizei 
mußte mit Hilfe der Gendarmerie den Wenzelsplatz absperren. 
3. März. (Agram.) Oeffentliche Schlußverhandlung in dem 
großserbischen Hochverratsprozeß gegen 53 Angeklagte. Die 
Staatsanwaltschaft hat 250 Zeugen geladen. 
Europäischer Geschichtskalender. L. 27
	        
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