ISlalien. (April 1. 3.) 523
1. April. (Kammer.) Zwischen den Sogialisten und Mini-
steriellen bei der Debatte über den Brotzoll kommt es zu einer
Schlägerei.
3. April. (Kammer.) Frage der Herabsetzung der Getreidegölle.
Guicciardini beantragt mit Rücksicht auf die allgemeine Erhöhung
der Brotpreise sofortige Maßregeln zur zeitweiligen Herabsetzung der Ge-
treide= und Mehlzölle zu ergreifen. Aus demselben Grunde werden zahl-
reiche Anträge, Tagesordnungen und Zusatzanträge eingebracht, die eine
zeitweilige Herabsetzung der Getreidezölle oder die Abschaffung des Ge-
treide- und Mehlzolles oder die zeitwerlige Aufhebung dieses Zolles und
seine stufenweise Verringerung bis zur völligen Beseitigung in Vorschlag
bringen.
Nachdem mehrere Redner gesprochen haben, ergreift Ministerpräsident
Giolitti, von lebhaftem Beifall begrüßt, das Wort und erklärt, er halte
es für angebracht, nach einer so ausführlichen Erörterung die Meinung
der Regierung mitzuteilen. Er schicke voraus, daß die Ermäßigung des
Getreidezolls keinen nennenswerten Einfluß auf den Preis des Brotes
ausüben werde. Die italienische Landwirtschaft müsse sich in höherem
Maße der Erzielung solcher Erzeugnisse widmen, die im Inlande verbraucht
würden und die Erzeugung solcher Waren, die ausgeführt würden, wie
z. B. Wein, einschränken. Das werde der ganzen Volkswirtschaft großen
Nutzen bringen. Der Schutzzoll, verbunden mit der systematischen För-
derung der Landwirtschaft, sei gerade geeignet, eine solche Aenderung
herbeizuführen, wie das Beispiel Frankreichs zeige. Man müsse auch die
geldliche Seite der Frage beachten. Da es nicht möglich sei, dem Ausfall
an Getreidezöllen durch Erhöhung der direkten Steuern zu begegnen, müßte
man die öffentlichen Arbeiten zum größten Schaden der arbeitenden Klassen
aufschieben. Die Löhne seien bedeutend gestiegen und machten die Er-
höhung des Brotpreises für die Arbeiter erträglich. Wesentlich für diese
sei es, Arbeit zu haben, die entsprechend bezahlt würde. Außerdem würde
eine schwankende Zollpolitik die Getreideeinfuhr hindern und Mangel an
Lebensmitteln hervorrufen. Der Ministerpräsident erinnert daran, daß
gegenwärtig alle Länder sich für den Schutzzoll entschieden hätten. Er
glaube nicht. daß es für Italien klug sein werde, allein eine entgegen-
gesetzte Politik zu befolgen. (Beifall.) Gestützt auf die vorgebrachten Er-
wägungen sei die Regierung gegen eine auch nur zeitweilige Aufhebung
oder Herabsetzung des Getreidezolles, sie meine, daß die Einrichtung von
Gemeindebäckereien und die Bildung von Konsumgenossenschaften den Brot-
preis herabzusetzen imstande sein werde. Es sei nicht ausgeschlossen, daß
man künftig, wenn die Lage der Landwirtschaft sich gebessert habe, zu
einer allmählichen Herabsetzung des Getreidezolles schreiten könne, aber
diese Maßregel sei im gegenwärtigen Augenblicke ein Verbrechen, und der
Wunsch nach einer Augenblicksvolkstümlichkeit dürfe die Regierung und das
Parlament nicht zu einem Entschlusse verleiten, der insbesondere den arbeiten-
den Klassen schädlich sein werde. (Lebhafter Beifall.) Nach weiterer Erörterung
stimmt die Kammer zunächst für einen Zusatzantrag Scalini ab, wonach dem
Antrag Guicciardini die Worte hinzugefügt werden: „Die Kammer erkennt
die Notwendigkeit an, den heimischen Getreidebau zu schützen“.
Der von dem Ministerpräsidenten gebilligte Antrag wird mit großer
Mehrheit angenommen. Sodann wird in namentlicher Abstimmung der
Antrag Gutcciardini, nachdem die Regierung sich dagegen ausgesprochen
hat, mit 258 gegen 139 Stimmen abgelehnt.