Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Tũrkei. (April 19.) 585 
1. Die Nation, welche die Macht des seit Jahren seine Tyrannei 
übenden Absolutismus gebrochen hat, führte die konstitutionelle Regierung 
wieder ein, um den seinerzeitigen Zustand, der ihren Interessen diente 
wieder herzustellen. Die durch diesen ohne Blutvergießen durchgeführten 
politischen Wandel getroffenen Feiglinge suchten Zuflucht zu tausendfältigen 
Intrigen, wollten unsere Konstitution schädigen und führten die von der 
ganzen Menschheit verdammten traurigen Ereignisse von Konstantinopel 
herbei. 
2. Als die Nation sah, daß man die Verfassung, die einzige Bürg- 
schaft ihres Lebens, ihres Schicksals, des Scheria und der öffentlichen Wohl- 
fahrt, mit Füßen treten wollte, und als sie die Notwendigkeit erkannte, 
die an dieser seigen Tat wirklich Schuldtragenden der Strafe zuzuführen, 
beschloß sie in ihrer Gesamtheit, nach Konstantinopel zu ziehen. Als die 
erste ausführende Gewalt entsandte sie dorthin dieses Korps, das ihr vor 
den Mauern Konstantinopels seht. 
3. Das Ziel und die Aufgabe der in Anmarsch befindlichen Armee 
ist es, unsere verfassungsmäßige Regierung derart zu festigen, daß keine 
Gewalt sie erschüttern könne, zu beweisen, daß kein Gesetz und keine Ge- 
walt über der durch das Scheria bekräftigten Verfassung stehe, noch stehen 
könne, und den Verrätern, die mit der Wiederherstellung der Verfassung 
unzufrieden sind, eine letzte und dauernde Lektion zu erteilen. 
4. Die Bevölkerung, wie die neutral gebliebenen Soldaten werden 
in Schutz genommen werden. Nur die Anstifter, die Agitatoren und ihre 
Mithelfer werden der verdienten gesetzlichen Strafe nicht entgehen können. 
5. Die Institution der Ulemas respektieren wir, aber einige Spione, 
die in der Tracht von Ulemas gewagt haben, die Religion herabzuwürdigen 
und den Aufstand zu predigen, werden sich der ihnen nach dem Gesetz ge- 
bührenden Strafe nicht entziehen können. 
6. Das Leben der Deputierten und der von diesen gewählten Minister, 
die sie ihres Vertrauens als würdig erachten, sowie die Rechte und Prä- 
rogativen, welche ihnen die Verfassung überträgt, werden vollkommen ge- 
wahrt werden. 
7. Alle Maßnahmen werden ergriffen, damit während der Dauer 
unserer militärischen Operationen, die zum Heile des Vaterlandes und zum 
Wohle der Nation notwendig geworden sind, die innere Ruhe des Landes 
nicht gestört und das Leben aller geschützt werde. 
8. Die Chefs der fremden Missionen wie alle Ausländer werden 
nicht belästigt werden. 
9. Zittern müssen nur einzig und allein die Anstifter und Förderer 
der blutigen Konstantinopeler Ereignisse, die dazu verurteilt sind, Rechen- 
schaft abzulegen vor den Seelen der während der tragischen Konstantinopeler 
Geschehnisse gefallenen Märtyrer. Alle mögen dies wissen, ruhig und zu- 
frieden sein! 
19. April. In Paris durchziehen etwa 150 jungtürkische 
Studenten, nachdem sie in einer Versammlung dem Komitee für 
Einheit und Fortschritt ihre Sympathie bekundet hatten, die 
Straßen des Quartier latin mit dem Rufe: „Nieder mit dem 
Sultan.“ 
19. April. Das Protokoll über die Anerkennung der Unab- 
hängigkeit Bulgariens wird von Rifaat Pascha in Gegenwart des 
englischen, französischen und russischen Botschafters unterzeichnet.
	        
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