Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Denisqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 45 
zu erweisen. (Stürmischer anhaltender Beifall der Linken. Große Be- 
wegung im ganzen Hause. Es entsteht eine längere Unterbrechung, bis 
es dem folgenden Redner gelingt, sich Gehör zu verschaffen.) 
Dr. Wiemer (frs. Vp.): Die Verhandlungen in diesem Hause haben 
jedenfalls insofern einen Fortschritt gebracht, als der enge Zusammenhang 
dieser Frage mit der Gesamtpolitik des Reiches und Preußens mit aller Schärfe 
betont ist. (Sehr richtig! links.) Gewiß ist es erfreulich, daß der Minister 
diese Verhandlungen sofort mit einer Erklärung der Regierung eröffnete, 
aber die Erklärung hat uns inhaltlich nicht befriedigt. Hier heißt es: Mehr 
Dampf, Herr Minister! (Beifall links.) Die Wünsche des Volkes dürfen 
nicht unerfüllt bleiben, weil eine Reform den Konservativen nicht gefällt. Herr 
v. Richthofen hat der Regierung Fehde angekündigt, wenn sie eine Vorlage 
bringen sollte, die den Konservativen nicht gefällt. (Zustimmung links. Wider- 
spruch rechts.) Herr v. Richthofen hat das Dreiklassenwahlrecht als den festesten 
Pfeiler des Staates und der Machtstellung der Krone bezeichnet. Die Konser- 
vativen fühlen sich als die eigentlichen Schützer und Hüter der Krone. Herr 
v. Oldenburg hat sich ja noch wesentlich schärfer geäußert. Er hat gemeint, 
der König von Preußen sei der stärkste Mann, so lange das gegenwärtige 
Wahlrecht bestehe; er sei aber nicht mehr zu schützen, wenn es geändert 
werde. (Hört, hört! links.) Wir kennen die Weise, wir kennen den Text: 
und der König absolut, wenn er unsern Willen tut. (Heiterkeit und Sehr 
richtig! links.) Die Autorität der Krone wird durch eine Reform nicht ge- 
schwächt, sondern gestärkt. (Sehr richtig! links.) Die Verhandlungen im 
Reichstage haben im Gegenteil den Zweck gehabt, das verfassungsmäßige 
System wieder herzustellen. (Sehr richtig! links.) 
Bei der Abstimmung werden der freisinnige und der polnische 
Antrag gegen die Stimmen der Freisinnigen, der Polen, des Zentrums 
und eines Teils der Nationalliberalen abgelehnt. Vom nationalliberalen 
Antrag wird Ziffer 1, die die Einführung eines Pluralwahlrechts fordert, 
gegen die Stimmen der Nationalliberalen und des Abg. v. Moltke (freikonf.) 
abgelehnt. Für Ziffer 2 (direkte Wahl) erheben sich die gesamte Linke 
und das Zentrum, dagegen Konservative und Freikonservative. Die Ab- 
stimmung ist zweifelhaft, es findet Hammelsprung statt. Die direkte Wahl 
wird mit 168 Stimmen der Rechten gegen 165 Stimmen der Linken und des 
Zentrums abgelehnt. Ziffer 3 (geheime Wahl) wird mit dem gleichen Stimmen- 
verhältnis als abgelehnt erklärt. Ziffer 4 (Neueinteilung der Wahlkreise) 
wird von der Rechten und dem Zentrum gegen die Linke abgelehnt. 
26. Januar. Der deutsch-schweizerische Mehlstreit. 
In der Budgetkommission erklärt die Regierung im Verlaufe einer 
Verhandlung über den Schweizer Mehlstreit: Bis 1899 sind die Zoll- 
vergütungen für das nach der Schweiz ausgeführte Mehl nach einheitlichen 
Sätzen geregelt gewesen und daher hat geringes Mehl zu hohe Zollasten 
tragen müssen. 1899 ist eine Revision versucht worden, durch eine Klassen- 
einteilung eine abgestufte Rückvergütung für die verschiedenen Mehlsorten 
zu erzielen. Diese ist sehr genau nach eingehenden Prüfungen festgesetzt 
worden und es hat sich seitdem kaum etwas geändert, wenn auch vielleicht 
die technischen Verbesserungen der deutschen Mühlen eine größere Ausbeute 
des Weizens möglich machen. Die Schweiz behauptet nun, daß eine be- 
sondere Vergütung für Feinmehl bestehe. Das ist aber gegenüber dem 
Verfahren bei Handelsvertragsverhandlungen nicht der Fall. Der Schweiz 
sind unsere abgestuften Rückvergütungen im einzelnen kenntlich gemacht 
worden, und sie hat vor dem Abschluß des Vertrages alles genau prüfen 
können und hat daraufhin den Vertrag abgeschlossen. Nachher erst sind
	        
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