Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

684 elebersiczt über die politisze Eutwichelung des Jahres 1909. 
Zweifel, ob sich bei dem Uebergewicht, das Frankreich durch die 
Regelung der großen Anleihe, die es dem Sultan anbot, faktisch 
erlangte, die wirtschaftliche Freiheit in Marokko auch erhalten 
ließe. Für die europäische Situation war es aber ein großer Vor- 
teil, daß „Marokko als politische Streitfrage aus den deutsch- 
französischen Beziehungen ausgeschaltet“ blieb. 
Der erste Schritt zur Entwirrung der Balkankrise war 
das Angebot Oesterreich--Ungarns, der Türkei außer den früheren 
Konzessionen eines günstigen Handelsvertrages noch eine Geld- 
zahlung zu leisten (9. Januar). Da die Pforte sich daraufhin zur 
Anerkennung des faktischen Zustandes bereit zeigte (s. Einigungs- 
protokoll S. 580 f.), so richtete sich auch Bulgarien darauf ein, auf 
gütlichem Wege die Anerkennung seiner Unabhängigkeit mittels 
Geldzahlungen zu erlangen. Oesterreich-Ungarn bereitete durch 
seine Befürwortung den Boden für eine günstige Aufnahme des 
bulgarischen Apells an die Großmächte. Entscheidend wurde aber 
ein plötzlicher Umschwung in der Haltung Rußlands zu Bulgarien. 
Man führt ihn auf eine Sinnesänderung des Zaren zurück, die 
aus religiösem Impuls entsprang. Aber Iswolski begnügte sich 
jetzt nicht damit, der Anregung Oesterreichs zu entsprechen, sondern 
ergriff selbst die Initiative, um den Frieden zwischen Bulgarien 
und der Türkei und die Rangerhöhung des Fürsten Ferdinand als 
das Werk der russischen Politik erscheinen zu lassen. Leicht gelang 
es ihm, sich die wohlwollende Mitwirkung Englands und Frank- 
reichs zu sichern. Noch im Januar konnte er den Vorschlag 
machen, daß die Türkei als Entschädigung für die Aufgabe ihrer 
Rechte über Bulgarien einen angemessenen Nachlaß der an Ruß- 
land seit 1882 zu zahlenden Kriegsentschädigung nimmt, während 
sie es Rußland überläßt, sich durch bulgarische Zinszahlungen und 
Amortisationen schadlos zu halten (S. 556). Es war ein diplo- 
matischer Erfolg Iswolskis, daß durch russisch-bulgarische und 
russisch-türkische Finanztransaktionen (S. 609) im April der Aus- 
gleich zu Stande kam, der dem Vasallenverhältnis Bulgariens zur 
Türkei ein Ende machte. In der gemeinschaftlichen Anerkennung 
der Unabhängigkeit Bulgariens durch die Dreibundmächte am 
27. April (S. 608) dokumentierte sich die politische Konfiguration
	        
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