Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

692 Nebersicht über die volitische Entwicelung des Jehres 1909. 
ihre Arbeiten erledigen und zugleich ihre steuerpolitischen Ideale 
durch eine Kotierungssteuer, eine Wertzuwachssteuer auf Effekten, 
einen Kohlenausfuhrzoll und eine gestaffelte Mühlensteuer in Ge- 
setzesform kleiden. 
Die Reichsfinanzreform ist dann dadurch zustande gekommen, 
daß der Reichstag 1. von den ursprünglichen Regierungsvorlagen 
über indirekte Steuern diejenigen auf Branntwein, Bier, Tabak und 
Schaumwein annahm (zusammen 228 Millionen Mark), 2. von neuen 
Regierungsvorlagen diejenigen über Stempel auf Effekten, Grundstücke, 
Wechsel und Schecks, sowie Zinsbogen von Wertpapieren guthieß 
(109½ Millionen Mark) 3. neue Aufwandsteuern auf Kaffee und 
Tee, Beleuchtungsmittel und Zündwaren schuf, die die Regierung 
akzeptierte (72 Millionen Mark) und 4. die Zuckersteuer und Fahr- 
kartensteuer ohne Ermäßigung beibehielt und den Einzelstaaten 
höhere Matrikularbeiträge und einen größeren Prozentsatz der Erb- 
schaftssteuern abnahm (80⅛ Millionen Mark). So kommen zu- 
sammen 500 Millionen Mark heraus. 
Daß dieses Resultat durch eine Verbindung des Zentrums 
mit den Konservativen gegen die Nationalliberalen und Freifinnigen 
zustande gekommen war, machte die Fortführung der Blockpolitik 
dem leitenden Staatsmann unmöglich. Besonders verletzend war 
für Fürst Bülow die Ablehnung der Erbanfallsteuer im Plenum 
am 24. Juni, da die kleine Majorität (194 gegen 186) auch die 
Ueberschrift und Einleitung des Gesetzes ablehnte und dadurch die 
dritte Lesung verhinderte. Von den neun Fraktionen des Reichs- 
tags stimmten geschlossen für die Regierungsvorlage die National- 
liberalen, die freisinnige Fraktionsgemeinschaft und die Sozial- 
demokraten (das ergab 139 Stimmen), geschlossen dagegen das 
Zentrum und die Polen (115 Stimmen). Die Konservativen hatten 
vom Fraktionszwang abgesehen; aber 53 Mitglieder stimmten 
gegen, sechs für die Vorlage. Die Reichspartei, Reformpartei 
und Wirtschaftliche Vereinigung brachten zusammen 39 Stimmen 
für und 9 Stimmen gegen die Steuer. Die Mehrheit kam da- 
durch zustande, daß zu den Absplitterungen der letztgenannten Gruppe 
noch 7 Fraktionslose hinzutraten, andererseits aber außer den 6 
Konservativen nur 2 Fraktionslose für die Vorlage stimmten.
	        
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