Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Mebersicht über die politische Entwichelnug des Jehres 1909. 697 
Während Oesterreich-Ungarn durch die ohne Friedens- 
störung erreichten Erfolge der Politik des Grafen von Aehrenthal 
sein Ansehen als europäische Großmacht gesteigert sah, dauerten 
die Nationalitätsstreitigkeiten im Innern ungeschwächt fort. Die 
Autorität der Zentralregierung ist aber dadurch auch den einzelnen 
Nationalitäten gegenüber gekräftigt, daß die beiden Hauptnationen 
mit dem Gange der auswärtigen Politik sehr zufrieden sind: die 
Ungarn auch wegen des alten Gegensatzes gegen die Vergrößerungs- 
gelüste Serbiens und die Deutschen wegen der Stärkung des Bünd- 
nisses der Monarchie mit dem Deutschen Reich. Beide Natio- 
nalitäten widmen der deutschen Bundestreue begeisterte Lobsprüche 
(S. 417, 420 u. 432). Auch die Jahrhundertfeier der Schlacht bei 
Aspern und des Tiroler Aufstandes find der Belebung des öster- 
reichischen Staatsgedankens günstig. 
Nach Erledigung der Balkankrise konnte am 2. April die 
Entlassung der Reservisten in den Grenzkorps beginnen. Von allen 
Signatarmächten des Berliner Vertrages machte England am längsten 
Schwierigkeiten wegen der formellen Aufhebung des Art. 25. Der 
Versuch Sir Edward Greys, die unfreundliche Haltung der eng- 
lischen Regierung durch Berufung auf einen Brief des Botschafters 
Karolyi an Gladstone aus dem Jahre 1881 zu rechtfertigen, fand 
im offiziösen „Fremdenblatt“ eine Erwiderung, die „eine gewisse 
Trübung“ in den politischen Beziehungen zwischen Großbritannien 
und Oesterreich-Ungarn konstatierte (S. 425 f.). Der übliche Be- 
such des Königs von England von Marienbad aus im Keiserlichen 
Hoflager unterblieb dieses Jahr. Dagegen bot das Erscheinen des 
deutschen Kaiserpaares in Wien am 12. Mai die Gelegenheit zu 
einem Jubel der Bevölkerung, wie nie zuvor bei einem Fürsten- 
besuche in der Donaustadt (S. 172). Der Telegrammaustausch der 
beiden Kaiser mit dem König von Italien symbolifierte den Fehl- 
schlag aller Versuche, die Balkankrifis zu einer Lockerung des Drei- 
bundes zu benutzen. Die Teilnahme des Deutschen Kaisers an den 
österreichischen Kaisermandvern im September bekräftigte die Freund- 
schaft, deren Wert die österreichisch-ungarische Politik erprobt hatte. 
Auch der deutsche Kronprinz., Prinz Heinrich von Preußen und 
der König von Bulgarien statteten dem Kaiser Franz Joseph einen
	        
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