706 Mebersicht üher die pelitische Entwiczelung des Jahres 1909.
Zentralregierung in Kalkutta und der Provinzialregierungen Sitz
und Stimme haben. Der Grundsatz, daß für koloniale und indische
Fragen die Parteigegensätze ausgeschaltet werden, kam auch in diesem
Jahre schärfster Spannung zur Geltung.
Frankreich hatte allen Grund, mit der von Pichon geleiteten
auswärtigen Politik zufrieden zu sein. Das Abkommen mit
Deutschland über Marokko, die freundschaftliche Haltung gegenüber
Oesterreich, der Haager Schiedsspruch im Casablancastreit und die
korrekte Haltung bei Gelegenheit der Warnungen des Generals
d'Amade vor Spaniens Absichten in Marokko entsprechen der all-
gemeinen Stimmung in der Kammer und im Lande. Dabei wirkte
auch die Voraussetzung mit, daß die Algecirasakte in der Zukunft
der Realisierung französischer Hoffnungen im Sinne des französisch-
spanischen Geheimvertrages von 1904 (S. 513) und infolge einer
für Mulay Hafid unentbehrlichen französischen Anleihe nicht wesent-
lich entgegenstehen werde. (S. 516.) Eine allmähliche Kräftigung
der Autorität der Regierung im eigenen Lande blieb ein lebhaft
empfundenes Bedürfnis gegenüber den Versuchen, die gesetzliche
Ordnung zu stören. Das zeigte sich in der Ablehnung des Re-
gierungsantrages, die Todesstrafe abzuschaffen (S. 491), der Bil-
dung eines republikanischen Studentenverbandes, um den Camelots
du Roi entgegenzutreten, dem Vertrauensvotum der Kammer, als
die Bestrafung von Offizieren, die einer Messe beigewohnt hatten,
und das Verbot für Soldaten, katholischen Vereinen beizutreten, mit
Anrufung der Menschenrechte kritisiert wurden. Ein Manifest des
Prinzen Napoleon blieb ohne Widerhall. Orleanistischen Anzette-
lungen spürte die Polizei nach. Im Streik der Post= und Telegraphen-
beamten war die Haltung der Regierung der öffentlichen Meinung
nicht streng genug. Gegen die ungesetzlichen Maßnahmen einzelner
Bischöfe schritten die Gerichte energisch ein. Der geheimen Tätig-
keit russischer Polizeiagenten machte die Regierung ein Ende. Da
auch die partiellen Senatswahlen im Anfang des Jahres den
Ministeriellen fünfzehn neue Sitze gebracht hatten, so schien die
Stellung des Ministeriums Clémenceau befestigter als je.
Dennoch erfolgte am 20. Juli der Sturz der Regierung.
Sie hatte mit dem Gegenstande der Diskussion, der Marinereform