Heersicht über die pelitische Entwichelung des Jahres 1909. 713
(S. 603). Das auf Kreta fortglimmende Feuer gab neben den
fortbestehenden Ansprüchen der Bulgaren, Serben und Griechen
auf einzelne Teile Macedoniens den von Iswolski betriebenen
Agitationen für einen Balkanbund einen den türkischen Interessen
gefährlichen Charakter. Für die Türkei ergibt sich daraus die Not-
wendigkeit, sich mit allen Großmächten gut zu stellen. Entgegen-
kommen gegen die von ihren Regierungen unterstützten Konzessions-
gesuche von Amerikanern um Eisenbahnbauten in Anatolien und
von Engländern um das Schiffahrtsmonopol auf dem Euphrat und
Tigris lag in dieser Situation begründet, erweckte aber den Un-
willen des jungtürkischen Komitees, dem der Großwesir Hüssein
Hilmi Pascha am Schluß des Jahres zum Opfer fiel.
Die nationalistische Bewegung in Egypten verflocht sich
infolge der Umgestaltung der Türkei enger mit konstitutionellen
Ideen, ohne aber das religiöse Ferment aufzugeben. Trot der
Wohltaten, die das Land den englischen Erbauern der großen Nil-
sperren verdankt, verstärkt sich die Oppofition, die in den Theo-
logiestudenten in Kairo und dem sich im Auslande bildenden Verein
der „Jung-Egypter“ ihre Exponenten hat und über eine einfluß-
reiche Presse verfügt. Die Betonung des religisen Zusammen-
hanges mit der Türkei und mit den übrigen Mohammedanern
dient als Agitationsmittel. Durch seine Reisen nach Konstanti-
nopel und Mekka erhielt sich der Khedive die Gunst dieser Stré-
mungen. Die erneuerten Preßgesetze von 1881 reizen die natio-
nalistische Bewegung nur um so mehr. In der Entrüstung über
den Entwurf eines neuen Vertrages mit der Suez-Gesellschaft findet
sie weitere Nahrung.
Unzweifelhaft kann sich Bulgarien rühmen, von allen Län-
dern im Jahre 1909 den größten politischen Fortschritt gemacht
zu haben. Es hat ohne nennenswerte Opfer seine Selbständigkeit
und Erhebung zum Königreiche erlangt, hat die durch sein Gebiet
führende Strecke der Orientbahn erworben, hat seine Finanzen
verbessert und eine auswärtige Anleihe ausgenommen. Zugleich
hat es neben der neuen Freundschaft Oesterreichs die alte mit Ruß-
land erneuert. — Das weniger unternehmungslustige Rumänien
hat die Ausdehnung der Verfassung auf die Dobrudscha und den