64 Nas Veutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (Februar 12. 13.)
Ein nationalliberaler Abgeordneter hält die Kommunen in Südwest für
die Selbstverwaltung im allgemeinen noch nicht reif, die Steuern können
ihnen noch nicht überwiesen werden. Demgegenüber sind andere, auch
nationalliberale Mitglieder der Kommission, soweit sie sich zur Sache
äußern, gegenteiliger Ansicht. Sie wollen die Selbstverwaltung schon jetzt
tunlichst fördern. Im Interesse der Finanzen müßten den Kommunen
Aufgaben überwiesen werden. Die Enteignung ist, wie der Staatssekretär
mitteilt, im allgemeinen durch kaiserliche Verordnung analog dem preußischen
Enteignungsgesetz geregelt. Die bisherigen Enteignungen beruhen auf dem
Eisenbahngesetz. Anzeichen für eine gute Entwickelung und der gute Wille
sind vorhanden. Das Ziel ist, die Kolonien auf eigene Füße zu stellen.
Seinen Ziviletat wird das Schutzgebiet bald balancieren. Die Budget-
kommission beschließt die Streichung der Wegesteuer; der Ausfall soll
durch Erhöhung der Zölle auf Spirituosen und Bier aufgebracht werden.
Die Besteuerung des Bieres soll verhältnismäßig geringer sein als die
des Branntweins. Die Erträge aus der Hundesteuer sollen den Kommunen
überwiesen werden. Für die Vorprüfung der schwebenden Eisenbahnfragen
wird eine Unterkommission eingesetzt. Der Betrag der Zölle wird um
1200000 Mark erhöht, Der Staatssekretär stellt fest, daß ihm nie aus
dem Reichstag heraus der Vorwurf gemacht worden sei, er habe Kurs-
treibereien getrieben oder wenigstens veranlaßt.
12. Februar. (Reichstag.) Finanzreform.
Die Unterkommission, die der Finanzkommission Vorschläge
über eine anderweite Heranziehung des Besitzes als Ersatz für die Nachlaß-
steuer machen soll, beginnt ihre Beratungen. Die Verhandlungen sind
streng vertraulich.
13. Februar. Das Deutschtum in Prag.
Wie die Bohemia meldet, hat der Hilfsverein deutscher Reichs-
angehöriger in Prag, der unter dem Protektorat des deutschen Konsuls
Grafen Hardenberg steht, ein großes Haus mit dem Gasthof „Zum
goldenen Kreuzel“ in der Nähe des Grabens neben dem Deutschen Haus
für 200000 Kronen gekauft.
13. Februar. Wirkung des Besuches König Eduards VII.
in Berlin.
Fürst Bülow sprach sich gegenüber dem Vertreter des Reuterschen
Bureaus dahin aus: Durch den Besuch des englischen Königs sei das
Vertrauen in die beiderseitige Loyalität und das Verständnis für die
politischen Ziele der beiden Reiche auf beiden Seiten gefestigt worden. Bei
der Behandlung der Balkanfrage habe sich eine weitgehende Ueberein-
stimmung ergeben, sowohl der auf die Erhaltung des Friedens gerichteten
Bestrebungen Englands und Deutschlands, als auch in der Haltung beider
Regierungen gegenüber dem neuen Regime in der Türkei. Er hoffe, daß
die öffentliche Meinung in beiden Ländern dem von den Herrschern und
Staatsmännern gegebenen Beispiel ehrlicher, friedlicher Absichten und auf-
richtigen gegenseitigen Verstehens folgen werde.
Der Berliner Korrespondent des Reuterschen Bureaus in London
ist ermächtigt worden, mitzuteilen, daß auf englischer Seite das Ergebnis
der politischen Besprechungen, die zwischen den englischen und deutschen
Staatsmännern in Berlin stattgefunden haben, als außerordentlich be-
friedigend angesehen wird und augenscheinlich auf die deutsch-englischen
Beziehungen eine ausgezeichnete Wirkung ausgeübt hat. Es wurde dem