Das Penisqe Reith und seine einzelnen Glieder. (Februar 5.) 105
gelegt, die eine neue Wahlkreiseinteilung, direkte und geheime Wahl, Ab-
stufung der Wählerklassen nach Alter, Bildung und Besitz sowie Beseitigung
der Drittelung der Urwahlbezirke vorsehen. Der Reformplan der Regierung
bringt nur in zwei Punkten eine vollständige Erfüllung der nationalliberalen
Wünsche, die direkte Wahl und die Berücksichtigung gewisser Imponderabilien
bei der Klasseneinteilung der Wähler, die ihre rein plutokratische Grund-
lage verlieren soll.“ Aus der Kritik des „Berliner Börsen-Couriers“":
„Diese Wahlreform ist Zuckerware für den „Beamtenmittelstand“, um ihn
zu ködern. Die Herrschaft der „Millionäre“ soll eingeschränkt werden. Da-
mit will man die Vorlage schmackhaft machen. Die Akademiker — ihrer
überwiegenden Mehrzahl nach Staatsbeamte —, also die Beamten sollen
Vorzüge erhalten. Dementsprechend auch die Beamten der Selbstverwaltung
— nicht etwa auch die Stadtverordneten —, ferner die Militäranwärter,
die, den Männern mit dem Einjährigenzeugnis gleichgestellt, in „gehobene"
Wahlrechtsstellung gelangen dürfen, sollen mit Vorrechten bedacht werden,
dazu die Schicht der „Halbbildung“, die das Einjährigenzeugnis aufweist.
Auch das sind zu einem großen Teil wiederum Beamte — Beamte in
Privatbetrieben der Industrie, des Handels und Verkehrs. Kurzum ein
Wahlrecht, das vornehmlich zugunsten des Beamtenstandes aller Art zu-
geschnitten ist.“" Die „Stettiner Neuesten Nachrichten“" schreiben:
„Daß an der bereits aus den sechziger Jahren herstammenden Wahlkreis-
einteilung nicht gerüttelt werden soll, übersteigt die schlimmsten Annahmen.
Die Neueinteilung der Wahlkreise wäre die erste Pflicht ausgleichender
Gerechtigkeit, denn die Großstädte und Industriebezirke haben zu verlangen,
daß sie eine genügende Vertretung im Landtage besitzen. Vor rund fünfzig
Jahren wurde bestimmt, daß auf je 50000 Seelen ein Abgeordneter kommen
sollte. Inzwischen aber sind mächtige Verschiebungen in der Bevölkerung
eingetreten. Verschiedene ländliche Wahlkreise sind ganz zusammengeschrumpft,
während sich die Bewohner der Städte und der Industriegebiete verdoppelt
und verdreifacht haben. Fünf Provinzen der östlichen Monarchie, die ein
Drittel der Gesamtfläche ausmachen, bringen nur ein Sechstel der gesamten
Staatssteuern auf, dagegen aber beanspruchen die herrschenden Klassen
dieser Landbewohnerschaft zwei Drittel des im preußischen Wahlrecht zur
Geltung gelangenden Einflusses im Staate. Und so soll es bleiben! Man
durfte von der Vorlage der preußischen Wahlreform erwarten, daß sie
gegenüber der Hochspannung der ganzen innerpolitischen Atmosphäre ein
Sicherheitsventil öffnen solle, aber es ist leider zu befürchten, daß Ent-
rüstungsstürme und Unruhen, wie jüngst in Braunschweig, entstehen werden,
u deren Unterdrückung mehr als zehn Soldaten und ein Leutnant nötig
fein werden!“ Das „Leipziger Tageblatt“" prophezeit: „Die Er-
fahrungen bei der Annahme der sogenannten Reichsfinanzreform bewahren
das Deutsche Reich vor einer Ueberschätzung der prinzipiellen Berliner
Standhaftigkeit. Am Widerstande der Regierung würde die geheime Wahl
kaum scheitern. Ebenso möchten wir der Gegnerschaft des Herrenhauses
kein entscheidendes Gewicht beilegen. Das preußische Volk wird die ge-
heime Wahl bekommen, wenn eine Mehrheit des Abgeordnetenhauses sie
beschließt.“ Die „Vossische Zeitung“ schreibt: „Die wenigen winzigen
Verbesserungen der Reform sind kaum der Rede wert. Sie ist eine kläg-
liche, kümmerliche Vorlage und gibt denen, die nach Brot riefen, einen
Stein und ist sie Gesetz geworden, so ist die Erlangung eines zeitgemäßen
vernünftigen Wahlrechts in Preußen und eine gerechte Einteilung der
Wahlkreise unverändert eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft.“ Die
Auffassung des „Berliner Tageblatts“ wird in der „Frankfurter
Zeitung" folgendermaßen zusammengefaßt: „Nur mit einem Gemisch von