Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Denisqhe Peich und seine einzelnen Glieder. (März 11.) 179 
den bayerischen Militärbevollmächtigten ein Grund mehr gewesen sein, auf 
die Sache nicht näher einzugehen. Daß bei der Schlacht von Roßbach, 
wie der Abg. Günther schon erwähnte, ein kleines Würzburger Kontingent 
dabei war, ist dem bayerischen Militärbevollmächtigten wohl nicht gegen- 
wärtig gewesen, sonst hätte er wohl doch noch Verwahrung gegen die Worte 
des Herrn v. Oldenburg eingelegt. 
11. März. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Zweite 
Lesung der Wahlrechtsvorlage. 
An Artikel 1 schließt sich eine allgemeine Debatte an, in welcher 
auch der sozialdemokratische Antrag auf Einführung des allgemeinen, 
gleichen und direkten Wahlrechts für beiderlei Geschlechter über 21 Jahre 
zur Verhandlung kommen soll. 
Abg. Bell (3.) referiert über die Kommissionsverhandlungen und 
über die Aenderungen, die die Kommission vorgenommen hat. 
Abg. Hirsch (Sd.) kritisiert die Haltung aller Parteien, die gegen 
die Einführung des Reichstagswahlrechts kämpfen. „Wir wollen jetzt 
gemeinschaftlich zusammen kämpfen mit dem Freisinn und den Polen. Und 
nun die Regierung. Von der hört man überhaupt nichis Bestimmtes. 
Ein „Unannehmbar“ wagt sie nicht zu sagen, weil sie abhängig ist von den 
Konservativen. Die Regierung setzt all ihre Hoffnungen auf das Herrenhaus. 
Wir aber werden dafür sorgen, daß sie nicht zur Ruhe kommt. Wir werden 
das Volk aufpeitschen, wir werden dafür sorgen, daß ein Sturm der Ent- 
rüstung die Regierung und die Mehrheitsparteien dieses Hauses wegfegt. 
Daß das Volk aufgewacht ist, können Sie uns danken. Wir werden nichts 
unversucht lassen, um, namentlich in den Wahlkreisen des Zentrums, das 
Volk aufzurütteln. Die Früchte von Ihren Beschlüssen sollen Sie ernten. 
Wir werden den Kampf für die Uebertragung des Reichstagswahlrechts 
weiterführen. Abhalten lassen wir uns nicht durch Drohungen. Sie sogen 
uns immer, wir sollten den gesetzlichen Weg verfolgen. Das macht sich 
recht schön in einem Parlament, das selbst nicht auf gesetzlicher Grund- 
lage steht. Haben Sie denn ganz vergessen, daß das Abgeordnetenhaus 
auf Grund eines Wahlrechts gewählt ist, das auf einen niederträchtigen 
Gewaltstreich der Regierung von 1849 zurückzuführen ist? (Lärm r. Vize- 
präsident Dr. Porsch: Ich bitte Sie, sich zu mäßigen.) Glauben Sie jeetzt 
wirklich, daß die Massen verhetzt sind? (Jalr.) Glauben Sie wirklich, 
das Volk habe sich durch ein paar Volksverführer betören lassen? (Zu- 
ruf r.: Jawohl!) Nein, das Volk empfindet von selbst die Last und die 
Ungerechtigkeit und lehnt sich dagegen auf. Ob sich die Entwicklung fried- 
lich vollziehen wird, das liegt nicht in unserer Hand, sondern das hängt 
von Ihnen ab. Sorgen Sie dafür, daß das Volk das allgemeine, gleiche 
und direkte Wahlrecht bekommt."“ 
Abg. Frhr. v. Richthofen (K.): Leider lassen sich große Massen 
durch die Sozialdemokratie irre führen und verwirren. Wir können eine 
Wahlreform machen wie wir wollen, sie wird der Sozialdemokratie nie 
enügen. Die Sozialdemokratie will die Massen aufpeitschen, und wenn 
ie ihre Macht erreicht haben würde, dann bringt sie für das Volk keine 
Kultur, sondern das Zuchthaus. Unsere Stellung zu dem Grsetze selbst hängt 
ab von der Gestaltung der einzelnen Bestimmungen. Wir werden unsere 
Stellung zu den einzelnen Bestimmungen darlegen. Wir verzichten daher auf 
eine große Generaldiskussion. Aber ich möchte nur erklären, daß auf meine 
Freunde die Ausführungen des Abg. Hirsch keinen Eindruck gemacht haben. 
Abg. Dr. Friedberg (Nl.): Meine politischen Freunde treten für 
ein abgestuftes Wahlrecht ein und wir haben daher keine Veranlassung, 
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