Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Penisqhe Reich und seine einzelnen Elieder. (Mai 10.) 277 
dankengang geht dahin: nichts tun, der freien Entwicklung Spielraum lassen. 
Dadurch würde es dahin kommen, daß die nichtexistenzfähigen Werke ver- 
nichtet würden und daß wir auf die Dauer einen möglichst billigen Preis 
erhalten. Diesen Weg hat auch der Abg. Gothein im Plenum und in der 
Kommission wiederbolt empfohlen. Die Folge würde aber zunächst die 
sein, daß eine Reihe von kleineren Fabriken eingehen würde, daß eine 
Reihe von großen Fabriken sich des Geschäfts bemächtigen würde, daß die 
Preise dem Inlande wie auch dem Auslande gegenüber geworfen würden 
und daß, wenn es dem Auslande möglich gemacht würde, bei der in- 
ländischen Produktion Fuß zu fassen, das Ausland in den Preisen besser 
gestellt wäre wie das Inland. Diese Entwicklung hat man ja anderen 
Kartellen zum Vorwurf gemacht; aber sie ist bisher, sie mögen der Politik 
des Kalisyndikats Vorwürfe machen, soviel sie wollen, vom Kalisyndikat 
nicht eingeschlagen worden. Wenn das das Ergebnis sein soll, so frage ich: 
was hat dann Deutschland davon, daß ihm dieses Naturmonopol geworden 
ist. Während andere Länder mit Zucker, mit Baumwolle, mit Petroleum 
in der Lage sind, die Welt zu versorgen und dadurch ein Moment wirt- 
schaftlicher Stärke bei Verhandlungen weltwirtschaftlicher Fragen besitzen, 
so ist Deutschland, abgesehen von dem Kali, mit keinem derartigen Produkt 
gesegnet worden. Haben wir nun ein solches, so sollten wir auch dafür 
sorgen, daß zunächst davon auch die deutsche Volkswirtschaft Vorteile hat. 
Das war der maßgebende Gesichtspunkt bei der Ausarbeitung des Gesetzes, 
und ich kann dem Vorredner darin nicht zustimmen, daß es sich in erster 
Linie darum gehandelt hat, eine notleidende Industrie zu stützen. Freilich 
war es nur möglich, diese Verwertung der deutschen Naturschätze im deutschen 
Interesse aufrechtzuerhalten, wenn ein gewisser Einfluß auf die Industriellen 
gegeben ist. Dadurch sind wir zur Regierungsvorlage gekommen. Der 
zweite Gesichtspunkt war, dafür zu sorgen, daß das Inland mäßige Preise 
bekommt, daß die Auslandspreise nicht billiger werden als die Inlands- 
preise. Und nur ein Nebenzweck war dabei, dann dafür zu sorgen, daß 
die schwachen Existenzen in der Kaliindustrie nicht über Bord geworfen 
werden, denn es handelt sich dabei nicht bloß um wohlhabende Industrielle, 
es handelt sich auch um eine Reihe von Arbeitsstätten in Deutschland, an 
die sich Arbeiterkolonien angeschlossen haben, und die nicht untergehen zu 
lassen auch ein öffentliches Interesse ist. Nun ist darauf hingewiesen 
worden, daß die Regierungsvorlage ganz umgeändert worden ist. Herr 
Dove betonte mit Humor, es scheine jetzt Mode zu werden, daß die Re- 
gierungsvorlagen erst im Reichstage zu einem brauchbaren Gesetz um- 
gearbeitet werden. Wem sagen Sie das? Damit beweist man doch nicht, 
daß die Regierungsvorlagen immer in Unrecht gewesen sind. Allerdings 
hat man manchmal die Empfindung, daß man am besten tut, abzuwarten, 
was der Reichstag aus seiner Vorlage macht. Ich bin auch heute noch 
der Meinung, daß die Vertriebsgemeinschaft der beste Weg gewesen wäre. 
Die Kommission hat einen anderen Weg gewählt, mit dem man aber das- 
selbe Ziel erreichen kann, wie mit der Regierungsvorlage. Es wird im 
wesentlichen dahin führen, daß die Ausbentung der Kalischätze Deutschlands 
nach dem Gesichtspunkte des Interesses der deutschen Volkswirtschaft ge- 
schieht, daß die Inlandspreise mäßig gehalten werden und die Auslands- 
preise nicht niedriger sind als die Inlandspreise. Die Regierung stand 
also vor der Tatsache, daß ihr Entwurf nicht auf Annahme rechnen konnte, 
daß ihr aber ein anderer geboten wurde, mit dem man dasselbe er- 
reichen kann. Da hat doch die Regierung keine Veranlassung, eine ab- 
lehnende Stellung einzunehmen. Es kommt nicht auf die Form, sondern 
auf die Sache an, und in der Sache sind die Entwürfe gleich. Der Kom-
	        
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