22 Bas Neuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12.)
Frage betrifft, so ist doch das, was wir staatsbürgerliche Freiheit nennen,
ein Komplex von Rechten, die verfassungsmäßig dem einzelnen Staatsbürger
zugesprochen sind. Dies ist aber kein unbeschränktes Recht. Alle Rechte
haben eine Grenze an dem verfassungsmäßigen Rechte Dritter, mögen sie
begründet sein, wie sie wollen, und die politischen Rechte der Beamten
finden ihre Grenze in dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, das die
Beamten zum Staate eingehen. Es ist unbestritten Rechtens, daß das
dienstliche Verhältnis des Beamten gegenüber dem Staat nicht lediglich die
Pflicht des Beamten ist, gewisse Arbeiten innerhalb bestimmter Fristen zu
erledigen, sondern es erstreckt sich auf die gesamte dienstliche und außer-
dienstliche Tätigkeit des Beamten, soweit sie in Beziehung tritt zu dem
Staate und seinen Aufgaben. Diese Beschränkungen sind dem Beamten auch
nicht willkürlich auferlegt, er wird nicht in das Dienstverhältnis zum Staat
hineingeboren, wie der Staatsbürger in sein staatsbürgerliches Verhältnis,
sondern er tritt freiwillig in dasselbe ein und unterliegt damit selbstver-
ständlich den ihm bekannten Beschränkungen. Er wird besonders auf letztere
hingewiesen und übernimmt sie auch nicht umsonst, denn das Beamten-
verhältnis bringt ihm auf der anderen Seite eine Reihe von materiellen
und ideellen Vorteilen, äußere Ehren, eine vorteilhafte Stellung im öffent-
lichen Leben und eine gesicherte materielle Existenz. Gewiß, es gibt viele
Leute, die darauf Wert legen. Daraus ergeben sich in gewissen Grenzen
Beschränkungen in der Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte. Das gilt
grundsätzlich für mittelbare und unmittelbare Staatsbeamte. Wie weit man
im einzelnen Falle bei der einen oder anderen Kategorie in der Art der
Beschränkung geht, hängt von den besonderen Verhältnissen ab und ist
lediglich nach dem Gesichtspunkte zu prüfen, ob die Handlungsweise des
Beamten in dem bestimmten Falle vereinbar ist mit den Interessen und
Aufgaben des Staates oder nicht. Ist sie nicht vereinbar, so hat der
Staat daraus die Konsequenzen zu ziehen. (Zurufe von den Sd.) Ich habe
Herrn Südekum keinen Vortrag über das Wesen des Staates zu halten.
Der Staat hat die Aufgabe, die Interessen der Gesamtheit nach Maßgabe
der Verfassung und des bestehenden Rechts zu vertreten. Er hat die per-
sönliche Freiheit der Beamten zu beschränken, wenn ihre Ausübung im
Widerspruch steht mit den öffentlichen Interessen, die der Staat verfassungs-
mäßig zu vertreten hat. Handelt es sich um schwere Verfehlungen, so wird
der Staat selbstverständlich das Disziplinargesetz in Anwendung bringen,
liegt der Fall milder, hat der Staat den Eindruck, daß ein sonst pflicht-
treuer und tüchtiger Beamter sich nur im gegebenen Moment vergriffen hat
und infolgedessen an der jetzigen Stelle nicht mehr verwendbar ist, so ver-
setzt er ihn im Interesse des Dienstes. In dieser Versetzung liegt in der
Mehrzahl der Fälle ein Vorteil für den Beamten, indem der Staat auf
die disziplinare Ahndung und die damit verbundene Ehrenkränkung ver-
zichtet. Daß die Reichsregierung und die preußische Regierung in früheren
Fällen weitherziger und milder gewesen sind in der Handhabung der dar-
gelegten Grundsätze, ist richtig. Das kann ich aus meiner 30jährigen Be-
amtentätigkeit bestätigen. Es dreht sich im gegebenen Falle um die Frage:
Wie hoch sind die Interessen zu bewerten, die der Beamte durch sein Ver-
halten geschädigt hat? Ich gebe zu, daß es nicht ganz leicht ist, ein rich-
tiges Bild von der Bedeutung der polnischen Bewegung, ihrem Wesen und
ihren Zielen sich zu verschaffen. Das weiß ich am allergenauesten, der ich
beinahe ein Menschenalter hindurch in einer unserer zweisprachigen Pro-
vinzen gearbeitet habe. Wenn man aber auf der andern Seite die Presse
und Literatur verfolgt und unbefangen und aufmerksam das Wachsen der
Animosität der polnisch sprechenden Bevölkerung gegen die Deutschen be-