Das Heeische Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 25
Abg. Dr. Südekum (Sd.): Das deutsche Zentralproblem ist die
Wahlrechtsänderung in Preußen. Der Staatssekretär und die ihm nach-
geordneten Stellen haben in Kattowitz vielleicht nicht gewollt, aber verübt
eine ganz gemeine Wahlfälschung. Diese Abstrafung von Beamten ist ein
Aufruf des Volkes gegen solche Manieren der Bureaukratie. Wenn der Staats-
sekretär wirklich dem Staatszweck dienen will, so sollte er nicht versuchen,
die Gepflogenheiten der preußischen Behörden auf die Reichsverwaltung zu
übertragen, die Freiheit der Staatsbürger anzutasten und damit das Ein-
zige und Beste, auf dem ein Staatswesen ruhen kann.
Staatssekretär Delbrück: Gewiß genießen die Beamten in der Aus-
übung ihrer verfassungsmäßigen Rechte grundsätzlich dieselbe Freiheit wie
die Staatsbürger; gleichwohl erfährt diese Freiheit Einschränkungen durch
die besondere Pflicht, die der Beamte dem Staat gegenüber zu erfüllen hat.
Diese Beschränkungen sind zwar nicht durchweg gesetzlich festgestellt, aber
doch unschwer erkennbar. Herr Schrader fragt, wo diese gesetzlichen Be-
stimmungen geschrieben sind, und meint, ich würde keinen Juristen finden,
der mir solche namhaft machen könnte, auf Grund deren diese Auffassung
gerechtfertigt werden könnte. Er hat insofern recht, als in keinem Gesetz,
weder des Reichs noch der Bundesstaaten, eine fest umschriebene Definition
des Beamtenbegriffs steht. Aber um so eingehender hat sich die Regierung
mit dieser Frage beschäftigt und die Mehrzahl unserer namhaften Staats-
rechtslehrer steht auf dem Standpunkt, daß der Beamte, wenn er ein Amt
übernimmt, in ein öffentlich rechtliches Dienstverhältnis oder, wie Laband
sagt, in ein Gewaltsverhältnis zum Staate tritt, und dementsprechend, da
der Staat selbst nicht sprechen und handeln kann, zu den zur Vertretung
des Staates berufenen Behörden. (Lebhafte Unruhe.) Wenn ein der-
artiges Dienst-= und Gewaltsverhältnis besteht — ich zitiere diesen Ausdruck
ungern — so fragt sich, wo die Grenzen dieses Verhältnisses liegen. So-
weit die Grenzen nicht gesetzlich festgelegt sind, müssen sie aus den Aufgaben
des Beamten und seinen Beziehungen zum Staate abgeleitet werden, und
dann kommt man dahin, daß die Grenze für die Möglichkeit der Be-
einflussung des Beamten durch den Staat, nicht durch die nackte Pflicht der
Arbeitsleistung gezogen ist. Der Beamtenerlaß Kaiser Wilhelms I. fordert
nur, daß die politischen Beamten sich in der Unterstützung der Politik der
Regierung gewissen Richtlinien zu fügen haben. Ich frage Herrn Schrader,
aus welchem Gesetz ist denn diese Anordnung zu entnehmen? (Zwischen-
rufe des Abg. Schrader.) Sie ist aus den allgemeinen Beziehungen ab-
zuleiten, die ich angegeben habe. Wenn wir jetzt weitergegangen sind, so
ist das nicht leichten Herzens geschehen; ich habe ausdrücklich daranf hin-
gewiesen, daß diese ausnahmsweise Behandlung des Kattowitzer Falles als
ein Akt der nationalen Notwehr anzusehen ist. Es handelt sich um den
speziellen Fall, darüber hinaus habe ich nicht irgendwelche Grundsätze über
die rechtlichen Pflichten der Beamten bei den Wahlen aufgestellt.
Abg. Kolbe (Rp.): Auch wir bedauern die Kattowitzer Vorgänge,
aber nicht im Sinne der Interpellanten. Wir bedauern, daß deutsche
Männer an der Ostgrenze so stimmten, daß diese Maßregelungen überhaupt
notwendig waren. Natürlich muß die Freiheit der Abstimmung gewahrt
werden. Aber diese Freiheit hat ihre Grenze. Selbst die katholische „Schle-
sische Lehrerzeitung“ hat die Maßregelung zwar für scharf, aber berechtigt
erklärt. Wo ist da die angebliche Erbitterung unter der Lehrerschaft? Aber
das Zentrum will ja die Wahrheit nicht hören. Selbst Martin Spahn
hat die polnische Frage für eine preußische Gefahr erklärt. Wir wollen
keine Politik der Nadelstiche, keine Gendarmenpolitik, aber eine energische
Abwehr polnischer Uebergriffe. Auch die Freisinnigen sollten endlich zu